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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Herzen.«
     
    Sie verließen das Haus.
     
    Vivi Sundberg verschloss die Tür und hängte den Schlüssel an einen Nagel. »Wir rechnen nicht damit, dass hier jemand einbricht«, sagte sie. »Dieses Dorf ist im Moment mindestens so gut beschützt wie das schwedische Königspaar.« Sie trennten sich auf der Straße. Starke Scheinwerfer strahlten einige der Häuser an. Birgitta Roslin hatte von neuem das Gefühl, sich auf einer Theaterbühne zu befinden.
     
    »Fahren Sie morgen nach Hause?« fragte Vivi Sundberg. »Vermutlich. Haben Sie schon darüber nachgedacht, was ich Ihnen erzählt habe?«
     
    »Ich werde Ihre Beobachtung morgen bei unserer Frühbesprechung vortragen, und dann wird sie bearbeitet wie jede andere Information.«
     
    »Aber Sie stimmen mit mir doch darin überein, dass es glaubhaft, wenn nicht sogar wahrscheinlich wirkt, dass es einen Zusammenhang gibt?«
     
    »Es ist zu früh, darauf zu antworten. Aber ich glaube, Sie sollten sich jetzt am besten nicht weiter mit dieser Sache befassen.«
     
    Birgitta Roslin sah Vivi Sundberg nach, die sich ins Auto setzte und davonfuhr. Sie glaubt mir nicht, sagte sie laut zu sich selbst in der Dunkelheit. Sie glaubt mir nicht, und das kann ich natürlich verstehen.
     
    Aber gleichzeitig machte es sie wütend. Wenn sie selbst Kriminalbeamtin wäre, würde sie eine Information, die auf einen Zusammenhang mit einem ähnlichen Geschehen hindeutete, bevorzugt behandeln, selbst wenn es sich auf einem anderen Kontinent ereignet hatte.
     
    Sie nahm sich vor, mit dem Staatsanwalt zu sprechen, der die Voruntersuchung leitete. Er würde begreifen, wie viel Gewicht ihre Beobachtung hatte.
     
    Viel zu schnell fuhr sie nach Delsbo und hatte sich immer noch nicht beruhigt, als sie im Hotel ankam. Im Speisesaal hielten die Werbeleute ihr großes Festbankett, sie selbst musste in der menschenleeren Bar essen. Sie bestellte ein Glas Wein zum Essen. Es war ein Shiraz aus Australien, er hatte Fülle, aber sie konnte sich nicht entscheiden, ob er eine Note von Schokolade oder Lakritz oder von beidem hatte. Nach dem Essen ging sie auf ihr Zimmer. Ihre Empörung hatte sich gelegt. Sie nahm eine Eisentablette und dachte an das Tagebuch, in dem sie nur kurz hatte blättern können. Sie hätte Vivi Sundberg von ihrer Entdeckung erzählen sollen, hatte es aber aus irgendeinem Grund nicht getan. Es bestand die Gefahr, dass auch das Tagebuch zu einem bedeutungslosen Detail im umfangreichen Untersuchungsmaterial wurde. Als Richterin hatte sie Polizeibeamte schätzen gelernt, die über eine besondere Begabung verfügten, die bedeutsamen Verbindungsglieder in einem Material zu entdecken, das anderen ungeordnet und chaotisch vorgekommen wäre. Welcher Typ von Kriminalbeamtin war Vivi Sundberg? Eine übergewichtige Frau in mittleren Jahren, die keine besonders schnelle Auffassungsgabe zu haben schien.
     
    Birgitta Roslin bereute ihren Gedanken sofort. Es war ungerecht, sie wusste nichts von Vivi Sundberg. Sie legte sich aufs Bett, schaltete den Fernseher ein und hörte die Vibrationen der Bässe aus dem Speisesaal unter sich, wo das Fest im Gange war.
     
    Das Klingeln des Telefons weckte sie. Sie blickte zur Uhr und sah, dass sie über eine Stunde geschlafen hatte.
     
    Es war Staffan. »Wo bist du eigentlich? Wo rufe ich an?« 
    »In Delsbo.«
     
    »Ich weiß nicht einmal, wo das liegt.«
     
    »Westlich von Hudiksvall. Wenn mich nicht alles täuscht, pflegte man früher von den wüsten Schlägereien und Messerstechereien der Knechte von Delsbo zu reden.« Sie erzählte von ihrer Begegnung mit Hesjövallen. Im Hintergrund hörte sie Jazz. Er findet es schön, allein zu sein, dachte sie. Jetzt kann er in Ruhe seinen Jazz hören, den ich nicht mag.
     
    »Wie geht es jetzt weiter?« fragte er, als sie verstummt war. »Ich entscheide mich morgen. Ich bin noch nicht daran gewöhnt, so viel freie Zeit zur Verfügung zu haben. Jetzt kannst du wieder deinen Jazz hören.«
     
    »Es ist Charlie Mingus.«
     
    »Wer?«
     
    »Willst du etwa sagen, du weißt nicht, wer Charlie Min gus ist?« 
    »Manchmal kommt es mir vor, als hätten all deine Jazzmusiker den gleichen Namen.«
     
    »Jetzt kränkst du mich.«
     
    »Das habe ich nicht beabsichtigt.«
     
    »Bist du da ganz sicher?«
     
    »Was meinst du denn damit?«
     
    »Ich meine nur, dass du die Musik, die ich so gern höre, im Grunde verachtest.« 
    »Warum sollte ich sie verachten?« 
    »Das kannst nur du selbst wissen.« Das Gespräch

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