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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Sekretärs heraus.
     
    Plötzlich erlosch die Taschenlampe. Es gelang ihr nicht, sie durch Schütteln wieder zum Leben zu erwecken, aber sie begann dennoch, die Briefe und Tagebücher in die Tüte zu stopfen. Eins der Briefbündel glitt ihr aus der Hand, und sie tastete lange auf dem kalten Fußboden, bis sie es fand. Dann hastete sie zurück zu ihrem Wagen. Die Frau an der Rezeption sah sie verwundert an, als sie ins Hotel kam. Sie hätte am liebsten sofort angefangen zu lesen, entschied sich aber dafür, noch zwei Stunden zu schlafen. Um neun Uhr lieh sie sich an der Rezeption ein Vergrößerungsglas und setzte sich in ihrem Zimmer an den Tisch, den sie vors Fenster gezogen hatte.
    Die Werbeleute brachen auf und verschwanden in Personenwagen und Minibussen. Sie hängte das Schild »Bitte nicht stören« an die Türklinke und begann dann mit dem Lesen des Tagebuchs. Es ging langsam, manche Wörter, zuweilen auch ganze Sätze, konnte sie nicht entziffern. Schnell wurde ihr klar, dass sich hinter den Initialen JA ein Mann verbarg. Warum schrieb er nicht »ich«, wenn er von sich selbst redete, sondern benutzte seine Initialen? Wer er war, blieb ihr zunächst unklar, doch dann erinnerte sie sich an den zweiten Brief, den sie unter den Papieren ihrer Mutter gefunden hatte. Jan August Andren. Es musste sich um ein und dieselbe Person handeln. Er war Vorarbeiter bei einem großen Eisenbahnbau, der sich langsam durch die Wüste von Nevada nach Osten vorschob, und beschrieb eingehend und umständlich seine Verantwortung. JA erzählte von Schwellen und Schienen und wie er bereitwillig den Nacken vor den Männern beugte, die in der Hierarchie über ihm standen und ihm mit ihrer Macht imponierten. Er beschrieb Krankheiten, die ihn befielen, unter anderem ein hartnäckiges Fieber, das ihn für lange Zeit arbeitsunfähig machte. Es ist an seiner Handschrift zu erkennen, die plötzlich zittrig wird. JA schreibt, dass er »hohes Fieber hat und dass Blut im häufig und schmerzhaft Erbrochenen« ist. Birgitta Roslin kann fast physisch die Todesangst nachvollziehen, die die Tagebuchseiten ausstrahlen. Weil JA seine Aufzeichnungen nicht regelmäßig datiert, kann sie nicht beurteilen, wie lange er krank ist.
     
    Auf einer der folgenden Seiten schreibt er plötzlich sein Testament. »Meinem Freund Herbert meine guten Stiefel und andere Kleidung, Mister Harrison mein Gewehr und meinen Revolver mitsamt der Bitte, meinen Angehörigen in Svärje mitzuteilen, dass ich verschieden bin. Dem Eisenbahnpastor Geld, dass er ein anständiges Begräbnis hält mit mindestens zwei Liedern. Ich hatte nicht erwartet, dass mein Leben schon vorüber sein soll. Gott steh mir bei.«
     
    Aber JA stirbt nicht. Plötzlich, ohne Übergang, ist er wieder gesund.
     
    »Wir arbeiten hart, und es geht schnell voran, weil das Gelände leicht ist. Viele Klapperschlangen machen die Chinesen nervös. Aber sie arbeiten schnell, auch wenn sie mir nicht zusagen.«
     
    JA scheint jetzt die Position eines Vorarbeiters bei der Gesellschaft mit Namen Central Union Pacific innezuhaben, die die Eisenbahnlinie vom Pazifik aus bis zu einem Punkt baut, wo sie sich mit der Linie treffen soll, die gleichzeitig von einer anderen Eisenbahngesellschaft von der Ostküste aus vorangetrieben wird. Er klagt manchmal darüber, dass »die Arbeiter very lazy sind«, wenn er sie nicht streng überwacht. Vor allem mit den Iren ist er unzufrieden, weil sie viel saufen und morgens nicht pünktlich zur Arbeit erscheinen.
    Er rechnet aus, dass er jeden vierten Iren entlassen muss, was große Probleme bereitet. Indianer einzustellen ist unmöglich, weil sie sich weigern, so viel zu arbeiten, wie von ihnen verlangt wird. Neger sind einfacher, aber Sklaven, die entweder entlaufen oder freigelassen sind, wollen sich nichts befehlen lassen. JA schreibt, dass »kernige schwedische Burschen hier in Mengen gebraucht würden - statt der verschlagenen chinesischen Kulis und betrunkenen Iren«. Birgitta Roslin musste ihre Augen anstrengen, um die Schrift zu entziffern. Zwischendurch legte sie sich aufs Bett und schloss die Augen. Dann machte sie sich daran, eines der Briefbündel zu studieren. Wieder schreibt JA, wieder sind es diese fast unleserlichen Buchstaben. Er schreibt an seine Eltern und berichtet ihnen von seinem Leben. Zwischen dem, was er im Tagebuch festhält, und dem, was er in den Briefen nach Hause schreibt, besteht eine merkwürdige Diskrepanz. Wenn sie annahm, dass er im Tagebuch die

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