Der Chirurg von Campodios
Schweißtuch um den Hals. Und statt eines züchtigen Damensattels bediente sie sich eines Männersattels, der sie zwang, beim Reiten die Beine weit zu grätschen. Nicht, dass ihr das besonders viel ausgemacht hätte – doch sie war froh, dass niemand aus dem sittsamen alten England ihr dabei zusah.
Das einzig Weibliche an ihr war der große, mit grünen Bändern geschmückte Hut, der mit seiner breiten Krempe vor der Sonneneinstrahlung schützte. Als Rothaarige hatte sie eine besonders zarte weiße Haut, und sie erinnerte sich noch gern an die vielen Komplimente, die man ihr wegen ihres guten Aussehens gemacht hatte.
Das alles lag kaum ein Jahr zurück.
Vieles war seitdem passiert, und das wenigste davon hatte ihr gefallen. So schön Roanoke Island landschaftlich auch war – das Leben hier war unerträglich. Die Hitze war mörderisch, die Mücken allgegenwärtig, die Fiebergefahr hoch, die Arbeit eintönig, die Abende immer gleich. Wer sich nach Abwechslung wie Musik, Tanz oder Konversation sehnte, wurde bitter enttäuscht. All das gab es auf Roanoke nicht.
Und dann war da noch Thomas Collincourt, der ewig unzufriedene Trinker, der zu allem Unglück ein entfernter Onkel von ihr war. Dass in seinen Adern ebenfalls adliges Blut floss, konnte sich niemand, der ihn sah, auch nur im entferntesten vorstellen.
Als kleines Mädchen hatte sie immer davon geträumt, eines Tages der Enge des englischen Landlebens zu entfliehen und zu Thomas in die Neue Welt zu segeln. Sie hatte von Abenteuern geschwärmt und von einem Märchenprinzen, der hier um ihre Hand anhalten würde.
Doch es war anders gekommen.
Zwar hatte sie auf der Überfahrt einen jungen Mann kennen gelernt, der sich Vitus nannte und in den sie sich Hals über Kopf auf das heftigste verliebt hatte, aber dieser Vitus war ein Hochstapler und ein Dieb gewesen. Sie hatte ihn auf frischer Tat in ihrer Schiffskabine ertappt – mit der Hand in ihrer Kleidertruhe. Damit nicht genug, hatte er noch ernsthaft behauptet, er sei ein gebürtiger Collincourt! Sie hatte ihn hinausgeworfen und anschließend wie ein Schlosshund geheult. Später, viel später, waren ihr Zweifel gekommen, und sie hatte sich dabei ertappt, wie sie sich ein ums andere Mal nach ihm sehnte … Doch da war sie schon lange auf Roanoke, und niemand konnte die Zeit zurückdrehen.
Ihre Gedanken kehrten zu Thomas Collincourt zurück. Sie wusste, er war alles andere als ein erfolgreicher Pflanzer, und nur den regelmäßigen Zuwendungen ihres Großvaters hatte er es zu verdanken, dass er sich gerade so über Wasser halten konnte.
An den wenigen Abenden, da Thomas nicht betrunken war, hatte er ihr erzählt, wie damals, vor über fünfundzwanzig Jahren, alles begonnen hatte: Er war mit großen Erwartungen und einer stattlichen Menge Geldes in die Neue Welt gereist. Von Anfang an hatte er eine Insel sein Eigen nennen wollen, denn der Gedanke, Nachbarn wie in England zu haben, war ihm ein Gräuel gewesen. So hatte er sich mit Aufsehern und Arbeitern auf Roanoke niedergelassen und zunächst sein Glück mit dem Anbau von Tabak versucht. Doch seine Unerfahrenheit hatte sich alsbald gerächt. Nach mehreren Missernten hatte er seine Bemühungen eingestellt. Zuckerrohr schien Erfolg versprechender zu sein. Er hatte weite Flächen urbar machen lassen und Jahr um Jahr auf den großen Durchbruch gehofft. Auch dieser Versuch war letztendlich fehlgeschlagen, denn auf dem Land schien kein Segen zu liegen. Fieberseuchen und Indianerüberfälle hatten ein Übriges getan. Aber Thomas hatte nicht aufgegeben. Seit zwei Jahren galten seine Bemühungen wieder dem Kultivieren ausgedehnter Tabakfelder, und er hoffte, seine Ware im nächsten Jahr erstmals verkaufen zu können. Zunächst im karibischen Raum, später vielleicht sogar nach England.
Das Pferd hatte unterdessen gesoffen. Es nahm den Kopf aus dem Eimer und schüttelte ihn schnaubend. Ein paar kräftige Wasserspritzer trafen Mbamo ins Gesicht. Der Schwarze riss den Arm hoch und verzog dabei vor Schmerzen das Gesicht.
»Ist etwas mit deinem Arm, Mbamo?« Arlette war die Reaktion nicht entgangen.
Der Sklave setzte ein gleichmütiges Gesicht auf. »Nichts, Ladymissu. Ich nur erschreckt.«
»Unsinn, du hast doch da was. Lass mal sehen.« Die Frau nahm den Arm und untersuchte ihn. Dann sah sie die Ursache: Halb in der Achsel saß eine schwärende Wunde. Die violetten Ränder waren aufgequollen, winzige Fliegen saßen darauf. »Wie ist das passiert?«
»Nicht
Weitere Kostenlose Bücher