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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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eine Signalwirkung hätte und dafür sorgte, dass Frauen ihren Brüdern künftig gleichgestellt sein würden, Land und Besitz erben, einem Haushalt vorstehen und Oberhäupter von Dörfern werden könnten.
    Das kalte Wetter und der Zwang, sich im Haus aufzuhalten, sorgten ab und zu für Gereiztheit und eine angeschlagene Gesundheit, aber selbst in der grauesten Zeit wurden die Tage allmählich wieder länger und bei bitterster Kälte trieben die Pflaumenbäume ihre zarten weißen Blüten.
    Obwohl sein engster Familienkreis vor der Langeweile und Kälte der langen Wintermonate geschützt war, konnte Takeo nicht vergessen, dass zwei andere Verwandte, zwei junge Menschen, nicht viel älter als seine Töchter, im Schloss von Inuyama im Kerker saßen. Man behandelte sie viel besser, als sie erwartet hatten, doch sie waren Gefangene, die dem Tod entgegensahen, außer die Kikutafamilie akzeptierte das Waffenstillstandsangebot.
    Nachdem der Schnee geschmolzen und Kenji zu seiner Mission aufgebrochen war, begab sich Kaede mit ihren Töchtern und Shizuka nach Hagi. Takeo war aufgefallen, dass seine Frau sich zunehmend unwohler mit den Zwillingen fühlte, und er hatte sich gefragt, ob Shizuka eines der beiden Mädchen, vielleicht Maya, nicht für einige Wochen in das verborgene Mutodorf Kagemura mitnehmen konnte. Er selbst verschob seine Abreise aus Inuyama, weil er noch im Laufe des Monats von Kenji zuhören hoffte, aber als der Mond des vierten Monats am Himmel stand, ohne dass eine Nachricht eingetroffen war, brach er – wenn auch zögerlich – nach Hofu auf und wies Taku an, ihm jede Botschaft sofort zu übermitteln.
    Während seiner ganzen Herrschaft war er so gereist und hatte das Jahr zwischen den Städten der Drei Länder aufgeteilt. Manchmal reiste er mit allem Prunk, den man von einem großen Lord erwartete, manchmal benutzte er eine der vielen Tarnungen oder Verkleidungen, die ihn der Stamm gelehrt hatte, mischte sich unter die einfachen Menschen und erfuhr aus ihrem Mund, was sie dachten, was sie freute und betrübte. Er hatte nie vergessen, was Otori Shigeru einst zu ihm gesagt hatte: Weil der Kaiser so schwach ist, können Kriegsherren wie Iida tun, was sie wollen . Nominell herrschte der Kaiser über alle Acht Inseln, doch in Wahrheit regierte sich jeder Landesteil selbst. Die Drei Länder waren viele Jahre lang von kriegerischen Auseinandersetzungen heimgesucht worden, weil die Kriegsherren nach Land und Macht gestrebt hatten, aber Takeo und Kaede hatten den Frieden gebracht und bewahrten ihn, indem sie allen Belangen des Landes und des Lebens seiner Bewohner unentwegt Aufmerksamkeit schenkten.
    Die Früchte dieser Bemühungen konnte er sehen, als er nach Westen ritt, begleitet von Gefolgsleuten, seinen zwei treuen Leibwächtern vom Stamm – den Cousins Kuroda Junpei und Shinsaku, immer nur Jun und Shin genannt – und seinem Schreiber. Während des Rittes sah er alle Merkmale eines friedlichen und gut regierten Landes: gesunde Kinder, blühende Dörfer, wenigeBettler und keine Straßenräuber. Er hatte seine eigenen Ängste – um Kenji, um seine Frau und seine Töchter –, doch alles, was er sah, beruhigte ihn. Sein Ziel bestand darin, das Land so sicher zu machen, dass es von einem kleinen Mädchen regiert werden konnte, und als er in Hofu eintraf, wurde ihm zu seinem Stolz und zu seiner Zufriedenheit bewusst, dass die Drei Länder dieses Ziel bereits erreicht hatten.
    Er hatte weder vorhergesehen, was ihn in der Hafenstadt erwartete, noch geahnt, dass am Ende seines Aufenthaltes sein Selbstvertrauen erschüttert und seine Herrschaft bedroht sein sollte.
    Immer wenn er in einer der Städte der Drei Länder eintraf, zogen Delegationen vor die Tore des Schlosses oder Palastes, in dem er Hof hielt, baten um Audienzen oder eine Gunst, verlangten Entscheidungen, die nur er treffen konnte. Manchmal konnte man sie den örtlichen Beamten überlassen, aber gelegentlich wurden Beschwerden gegen genau diese Beamten vorgetragen, und dann mussten neutrale Schlichter aus seinem Gefolge benannt werden. In diesem Frühling gab es in Hofu drei oder vier solcher Fälle, mehr, als Takeo lieb war, und ihm kamen Zweifel an der Gerechtigkeit der Lokalverwaltung. Außerdem hatten sich zwei Bauern darüber beklagt, man habe ihre Söhne gewaltsam zum Militärdienst verpflichtet,

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