Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
verbarg die Tatsache, dass er wegen des feuchten Wetters stärkere Schmerzen hatte als sonst. Er unterdrückte auch das Bedürfnis, den Seidenhandschuh auszuziehen und seine Fingerstümpfe zu massieren.
»Das war zu viel der Mühe«, sagte er. »Ich bleibe nur einen oder zwei Tage in Hofu.«
»Oh, aber Lord Takeo muss länger bleiben.« Wie so oft kam Hana ihrem Mann zuvor. »Sie müssen bleiben, bis der Regen vorbei ist. Bei diesem Wetter können Sie nicht reisen.«
»Ich bin schon bei schlimmerem Wetter gereist«, sagte Takeo lächelnd.
»Es wäre uns keine Mühe«, sagte Zenko. »Es ist uns eine groÃe Freude, Zeit mit unserem Schwager verbringen zu können.«
»Nun, über ein oder zwei Dinge müssen wir reden«, erwiderte Takeo, der beschlossen hatte, sofort zur Sache zu kommen. »Ich sehe keine Notwendigkeit dafür, dass du die Zahl deiner unter Waffen stehenden Männer erhöhst, und im Ãbrigen wüsste ich gern mehr über das, was du schmieden lässt.«
Seine Direktheit, die unmittelbar auf die Höflichkeitsfloskeln folgte, verblüffte die beiden. Er lächelte wieder. Sie wussten bestimmt, wie wenig ihm von dem entging, was in den Drei Ländern passierte.
»Waffen braucht man immer«, sagte Zenko. »Schwerter, Speere und so weiter.«
»Wie viele Männer kannst du mobilmachen? Fünftausend mindestens. Laut unseren Aufzeichnungen sind alle vollständig ausgerüstet. Sollten ihre Waffen verloren gegangen oder beschädigt sein, so müssen sie auf eigene Kosten Ersatz beschaffen. Die Gelder der Domäne können nutzbringender verwendet werden.«
»Ja, fünftausend aus Kumamoto und den südlichen Bezirken. Aber in anderen Seishuudomänen gibt es noch viele ungeübte Männer im besten Kampfesalter. Mir schien die Gelegenheit günstig, sie auszubilden und auszurüsten, selbst wenn sie zur Ernte wieder auf ihre Felder zurückkehren.«
»Die Familien der Seishuu stehen inzwischen unter dem Befehl der Domäne Maruyama«, entgegnete Takeo milde. »Was hält Sugita Hiroshi von deinen Plänen?«
Hiroshi und Zenko mochten einander nicht. Takeo wusste, dass auch Hiroshi für Hana geschwärmt und auf eine Heirat mit ihr gehofft hatte. Auf Grund seiner Zuneigung zu Kaede hatte er sich ein ganz irriges Bild von ihr gemacht. Und obgleich er nie darüber sprach, war ihre Hochzeit mit Zenko eine groÃe Enttäuschung für ihn gewesen. Die beiden Männer hatten einander allerdings noch nie gemocht, schon damals nicht, als sie sich vor vielen Jahren in der wirren Zeit des Bürgerkrieges zum ersten Mal begegnet waren. Hiroshi und Zenkos jüngerer Bruder Taku waren trotz aller Unterschiede eng befreundet und einander viel näher als die beiden Araibrüder. Diese hatten sich im Laufe der Jahre voneinander entfremdet, wenngleich auch sie hiervon niemals sprachen und die Kluft, die sich zwischen ihnen aufgetan hatte, mit einer vorgetäuschten und für beide gleichermaÃen nützlichen und meist durch viel Wein befeuerten Herzlichkeit überdeckten.
»Ich hatte noch keine Gelegenheit, mit Sugita zu reden«, gestand Zenko.
»Nun, dann werden wir die Sache mit ihm besprechen. Im zehnten Monat werden wir uns alle in Maruyama treffen und uns Klarheit über die militärischen Erfordernisse im Westen verschaffen.«
»Die Barbaren bedrohen uns«, sagte Zenko. »Der Westen steht ihnen offen: Die Seishuu wurden noch nie mit einem Angriff von See konfrontiert. Wir sind völlig unvorbereitet.«
»Die Fremden sind vor allem auf Handel aus«, antwortete Takeo. »Ihre Heimat ist fern, ihre Schiffe sindklein. Bei ihrem Angriff auf Mijima haben sie ihre Lektion gelernt. Von nun an werden sie diplomatisch vorgehen. Unsere beste Verteidigung gegen sie besteht darin, friedlich Handel mit ihnen zu treiben.«
»Trotzdem prahlen sie immer mit den groÃen Heeren ihres Königs«, sagte Hana. »Hunderttausend Mann unter Waffen. Fünfzigtausend Pferde. Eines ihrer Pferde sei gröÃer als zwei der unseren, behaupten sie, und ihre FuÃsoldaten hätten alle Feuerwaffen.«
»Das ist, wie du richtig sagst, Prahlerei«, bemerkte Takeo. »Ich vermute, Terada Fumio behauptet auf den Inseln des Westens und in den Häfen von Tenjiku und Shin Ãhnliches von unserer Ãberlegenheit.« Er sah, wie Zenkos Miene sich bei der
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