Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
Friedens.«
Gosaburo lachte kurz und ungläubig auf. Die beiden anderen Männer lächelten, wenn auch nicht belustigt. Â
»Ja, wie der Wolf im Winter«, sagte Akio. »Kazuo wird dich durchsuchen.«
Kazuo näherte sich vorsichtig und etwas beschämt.»Verzeihung, Meister«, murmelte er. Kenji lieà zu, dass ihn der Mann mit Fingern abtastete, die so lang und geschickt waren, dass er unbemerkt die Waffe eines Mannes hätte stehlen können, auch wenn dieser sie direkt am Körper trug.
»Er sagt die Wahrheit. Er ist unbewaffnet.«
»Warum bist du gekommen?«, rief Akio aus. »Ich kann nicht glauben, dass du des Lebens so müde bist!«
Kenji betrachtete ihn. Jahrelang hatte er davon geträumt, diesem Mann gegenüberzustehen, der mit seiner Tochter verheiratet gewesen war und eine so groÃe Mitschuld an ihrem Tod trug. Akio ging auf die vierzig zu. Sein Gesicht war zerfurcht, sein Haar wurde grau. Doch unter seinem Gewand waren die Muskeln immer noch hart wie Eisen und mit dem Alter war er weder sanfter noch milder geworden.
»Ich komme mit einer Botschaft von Lord Otori«, sagte Kenji gelassen.
»Hier nennen wir ihn nicht Lord Otori. Hier heiÃt er der Otorihund. Keine Botschaft, die er schickt, wird hier je Gehör finden!«
»Ich fürchte, einer deiner Söhne ist tot«, sagte Kenji, an Gosaburo gewandt. »Der älteste, Kunio. Doch der andere lebt und deine Tochter lebt auch.«
Gosaburo schluckte. »Lass ihn ausreden«, sagte er zu Akio.
»Wir verhandeln nicht mit dem Hund«, erwiderte Akio.
»Aber schon die Tatsache, dass er einen Boten schickt, zeigt eine Schwäche«, sagte Gosaburo bittend.»Er appelliert an uns. Wir sollten wenigstens anhören, was Muto zu sagen hat. Vielleicht erfahren wir dadurch etwas.« Er beugte sich ein wenig vor und fragte Kenji: »Meine Tochter? Sie ist doch nicht etwa verletzt worden?«
»Nein, sie ist wohlauf.« Aber meine Tochter ist seit sechzehn Jahren tot.
»Man hat sie nicht gefoltert?«
»Du musst doch wissen, dass Folter in den Drei Ländern verboten ist. Deine Kinder werden wegen versuchten Mordes vor ein Gericht gestellt werden, und darauf steht der Tod, aber man hat sie nicht gefoltert. Wie du vielleicht gehört hast, ist Lord Otori ein mitfühlender Mensch.«
»Noch so eine Lüge des Hundes«, sagte Akio verächtlich. »Geh, Onkel. Deine Trauer erweicht dein Herz. Ich rede allein mit Muto.«
»Die jungen Leute werden am Leben bleiben, wenn ihr in einen Waffenstillstand einwilligt«, sagte Kenji schnell, bevor Gosaburo aufstehen konnte.
»Akio!«, bat Gosaburo seinen Neffen und er begann zu weinen.
»Geh!« Akio stand ebenfalls auf, zornig stieà er den alten Mann zur Tür, schubste ihn aus dem Raum.
»Wirklich«, sagte er, als er sich wieder setzte. »Dieser alte Narr ist völlig unbrauchbar für uns! Seit er sein Geschäft und seinen Handel verloren hat, bläst er den ganzen Tag nur Trübsal. Soll Otori die Kinder doch töten. Dann töte ich ihren Vater, denn damit hätte ich einen Ãrger und einen Schwächling weniger.«
»Akio«, sagte Kenji. »Ich spreche von Meister zu Meister und auf die Art zu dir, auf die der Stamm schon immer seine Angelegenheiten regelt. Lass uns offen reden. Hör zu, was ich zu sagen habe. Dann entscheide, was für die Kikutafamilie und den Stamm das Beste ist. Folge nicht deinem Hass und deiner Wut, denn beides wird Stamm und Familie und dich selbst zerstören. Denk an die Geschichte des Stammes, wie wir seit uralten Zeiten überlebt haben. Wir haben immer mit groÃen Kriegsherren zusammengearbeitet. Wir sollten nicht gegen Otori arbeiten. Denn er tut Gutes in den Drei Ländern â das Volk, die Bauern und Krieger, sie alle wissen es zu schätzen. Sein Gesellschaftssystem funktioniert. Es ist stabil, es blüht und gedeiht, die Menschen sind zufrieden. Niemand muss verhungern und niemand wird gefoltert. Beende deine Blutfehde. Im Gegenzug werden die Kikuta begnadigt werden und der Stamm wird wieder vereint sein. Das nützt uns allen.«
Seine Stimme hatte einen einschläfernden, bezirzenden Ton angenommen, der die Menschen im Raum und auch alle, die drauÃen standen, zum Schweigen brachte. Kenji bemerkte, dass Hisao zurückgekehrt war und hinter der Tür kniete. Als er geendet hatte, sammelte er all seine
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