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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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dass Sie in Sicherheit sind.« Auch er schien um Worte zu ringen. »Sie müssen am Leben bleiben, zum Wohle des ganzes Landes.«
    Â»Sie sind mir mein ganzes Leben wie ein Bruder gewesen«, sagte sie. »Niemand bedeutet mir mehr als Sie.«
    Â»Ich empfinde viel mehr für Sie als ein Bruder. Dashätte ich nie erwähnt, aber vielleicht lässt einer von uns morgen sein Leben. Sie sind die vollkommenste Frau, die ich je gekannt habe. Ich weiß, dass Sie in Rang und Herkunft weit über mir stehen, aber ich werde nie jemand anderen lieben oder heiraten als Sie.«
    Shigeko musste lächeln. Seine Worte verscheuchten ihre Traurigkeit und erfüllten sie plötzlich mit Freude und Mut.
    Â»Hiroshi«, sagte sie. »Lass uns heiraten. Ich werde meine Eltern überreden. Ich fühle mich nicht verpflichtet, die Frau Lord Sagas zu werden, nachdem er meinen Vater auf diese Weise hintergangen hat. Mein ganzes Leben lang habe ich versucht, meinen Eltern zu gehorchen und mich richtig zu verhalten. Aber nun begreife ich, dass gewisse Dinge angesichts des möglichen Todes ein neues Gewicht bekommen. Meine Eltern haben ihre Liebe füreinander auch höher gestellt als die Verpflichtung gegenüber den Ältesten. Warum sollte ich nicht das Gleiche tun?«
    Â»Ich kann den Wünschen deines Vaters nicht zuwiderhandeln«, antwortete Hiroshi tief bewegt. »Aber nun, da ich weiß, was du empfindest, sind meine Sehnsüchte gestillt.«
    Hoffentlich nicht alle! , wagte Shigeko zu denken, als sie sich trennten.
    Am liebsten wäre sie sofort zu ihrem Vater gegangen, beherrschte sich aber. Nachdem sie sich gewaschen und etwas gegessen hatte, erfuhr sie, dass er schon schlief. Man hatte ein eigenes Zelt für sie errichtet, und darin saß sie lange und versuchte, ihre Gedanken zu beruhigenund die stille, starke Flamme des Weges des Houou in sich zu entfachen. Doch alle ihre Bemühungen scheiterten an den Erinnerungen an die Schlacht – den Schreien, dem Geruch von Blut, dem Geräusch der Pfeile – und auch an Hiroshis Stimme und Gesicht.
    Sie fiel in einen leichten Schlaf und wurde von Donnergrollen und prasselndem Regen geweckt. Sie hörte, wie das Feldlager ringsumher zur Geschäftigkeit erwachte, sprang auf die Füße und schlüpfte schnell in die Reitsachen, die sie am Vortag getragen hatte. Alles wurde nass und ihre Finger waren glitschig.
    Â»Lady Maruyama!«, rief draußen eine Frau, und Mai kam mit einem Topf in das Zelt, in den Shigeko urinieren konnte. Dann brachte Mai den Topf weg und kehrte wenig später mit Tee und kaltem Reis zurück. Während Shigeko das Essen hinunterschlang, verschwand Mai noch einmal. Als sie zurückkehrte, hatte sie einen kleinen Brustpanzer aus Leder und Eisen und einen Helm dabei. »Das schickt Ihnen Ihr Vater«, sagte sie. »Sie sollen sich und Ihr Pferd umgehend bereit machen und zu ihm kommen. Warten Sie, ich helfe Ihnen.«
    Shigeko spürte das ungewohnte Gewicht der Rüstung. Ihre Haare verhedderten sich in den Riemen. »Binde sie zurück«, befahl sie Mai. Dann nahm sie ihr Schwert und befestigte es am Gürtel. Mai setzte Shigeko den Helm auf und zurrte die Riemen fest.
    Draußen goss es in Strömen, doch der Himmel hellte sich auf. Die Dämmerung brach an. Shigeko ging schnell zu den Spalieren der Pferde, wobei sie den Regen durchquerte, als wäre er ein stahlgraues Tuch. Takeo hatteschon die Rüstung angelegt und Jato umgegürtet. Er wartete, bis Hiroshi und die Knechte die Pferde gesattelt hatten.
    Â»Shigeko«, sagte er mit ernster Miene. »Hiroshi hat mich gebeten, dich fortzuschicken, aber Tatsache ist, dass ich jeden Mann brauche, den ich habe – und auch jede Frau. Für einen Einsatz der Feuerwaffen ist es zu nass und das weiß Saga genau. Er wird mit seinem Angriff ganz bestimmt nicht warten, bis der Regen aufhört. Ich brauche dich und Gemba, denn ihr seid beide Bogenschützen.«
    Â»Das freut mich«, sagte sie. »Ich wollte dich nicht im Stich lassen. Ich möchte an deiner Seite kämpfen.«
    Â»Bleib bei Gemba«, sagte er. »Wenn die Niederlage nicht mehr abzuwenden ist, wird er dich in Sicherheit bringen.«
    Â»Vorher nehme ich mir das Leben«, erwiderte sie.
    Â»Nein, Tochter, du musst leben. Wenn wir eine Niederlage erleiden, musst du Saga heiraten, um als seine Frau unser Land und unser Volk zu

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