Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
erhalten.«
»Und im Falle unseres Sieges?«
»Dann darfst du heiraten, wen du magst«, antwortete er, und als er Hiroshi einen Blick zuwarf, lächelte er mit den Augen.
»Ich werde dich beim Wort nehmen, Vater«, sagte sie leichthin, als sie ihre Pferde bestiegen.
Takeo ritt mit Hiroshi zur Mitte der Ebene, wo sich die Reiter versammelten. Shigeko folgte Gemba zur nördlichen Flanke, wo FuÃsoldaten, Bogenschützen und Männer mit SpieÃen und Hellebarden ihre Positionenbezogen. Es waren einige tausend, die Bogenschützen standen in zwei Reihen hintereinander, denn Kahei hatte sie in der Kunst des abwechselnden SchieÃens gedrillt, so dass der Pfeilhagel stetig und fast ohne Pause auf den Gegner niederprasseln würde.
»Saga nimmt an, dass wir uns ganz auf die Feuerwaffen verlassen«, sagte Gemba. »Er ahnt nicht, dass wir mit dem Bogen genauso ausgezeichnet umgehen können. Beim Wettkampf mit den Hunden war er überrascht, aber er hat nichts daraus gelernt. Jetzt wird er genauso überrascht sein.
Wir sollen hierbleiben«, fügte er hinzu, »auch wenn die Truppen ihre Position verändern oder zum Angriff übergehen. Ihr Vater möchte, dass wir genau zielen und ihre Hauptmänner und anderen Anführer unschädlich machen. Kein Pfeil darf danebengehen.«
Shigeko hatte einen trockenen Mund. »Lord Gemba«, sagte sie. »Wie konnte es so weit kommen? Warum haben wir den Konflikt nicht friedlich lösen können?«
»Wenn das Gleichgewicht gestört ist und die männliche Kraft dominiert, ist der Krieg unausweichlich«, antwortete Gemba. »Der weiblichen Kraft ist eine Wunde geschlagen worden, nur weià ich nicht, welche. Zu diesem Zeitpunkt hier zu sein, ist unser Schicksal, und unser Schicksal ist es auch, zu töten oder getötet zu werden. Wir müssen es aus ganzem Herzen und mit Entschlossenheit annehmen, obwohl wir wissen, dass es nicht unserem Wunsch oder unserer Sehnsucht entspricht.« Â
Sie hörte seine Worte, ohne sie wirklich in sich aufzunehmen, denn ihre ganze Aufmerksamkeit galt derSzene, die sich im immer heller werdenden Licht vor ihr entfaltete: das Rot und Gold der Rüstungen und Brustpanzer, die Pferde, die ungeduldig den Kopf hin und her warfen, die Banner der Otori, Maruyama, Miyoshi und aller anderen Clans der Drei Länder, der prasselnde Regen, die dunklen Bäume des Waldes, das Weià der schäumenden Wasserfälle vor dem Hintergrund der Felsen.
Und dann ergoss sich die erste Welle von Sagas Armee durch den Pass, wimmelnd und so unglaublich zahlreich wie aufgeschreckte Ameisen.
KAPITEL 46
Die Schlacht von Takahara währte drei Tage und wurde bei schweren Gewittern ausgefochten. Die Kämpfe dauerten jeweils von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Nachts versorgte man die Verwundeten und suchte das Schlachtfeld nach verschossenen Pfeilen ab. Saga Hidekis Streitkräfte waren dreimal so stark wie Takeos Armee, aber der General des Kaisers wurde von der Enge des auf die Ebene führenden Passes behindert und die Otori beherrschten die besten Stellungen. Jede neue Welle von Sagas Armee, die auf die Ebene drängte, wurde von rechts mit Pfeilen unter Beschuss genommen. Die Ãberlebenden dieses Beschusses wurden von der Hauptarmee der Otori zurückgeschlagen, die anfangs mit dem Schwert zu Pferd und später zu Fuà kämpfte.
Eine brutalere Schlacht hatte Takeo noch nie geschlagen, und er hatte alles getan, um sie zu verhindern. Sagas Truppen waren diszipliniert und hervorragend ausgebildet. Sie hatten bereits weite Landstriche im Norden erobert. Sie hofften auf eine Belohnung durch die Beute, die sie in den Drei Ländern machen würden, und im Ãbrigen fochten sie mit dem Segen des Kaisers. Andererseits kämpften Takeos Männer nicht nur um ihrLeben, sondern auch für ihr Zuhause, ihre Frauen und Kinder, ihr Land.
Miyoshi Kahei hatte im Alter von vierzehn Jahren auf Seiten der Otori an der Schlacht von Yaegahara teilgenommen. Das war fast dreiÃig Jahre her, und damals hatten die Otori eine verheerende Niederlage erlitten, die durch den Verrat ihrer eigenen Vasallen mitverursacht worden war. Die nachfolgenden Jahre hatte Kahei niemals vergessen: die Demütigung der Krieger, das Leid der Menschen unter Iida Sadamu. Er war fest entschlossen, keine solche Niederlage mehr einzustecken. Seine Ãberzeugung, dass Saga auf keinen Fall die Oberhand gewinnen
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