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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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Übrigen komme Lord Otori gleich nach.
    Shigeko sah ihren Vater in das Feldlager reiten. Hinten auf seinem Pferd saß das Mutomädchen, Mai, und neben ihm ritt Hiroshi. Die beiden wirkten kurz wie Fremde, denn sie waren blutbespritzt und sahen noch so grimmig aus wie in der Schlacht. Mai hatte denselben Gesichtsausdruck und dies verlieh ihr etwas Männliches. Hiroshi stieg als Erster ab und streckte die Arme aus, um das Mädchen von Tenba zu heben. Als Takeo abstieg und Kahei begrüßte, nahm Hiroshi die Zügel beider Pferde. Er blieb eine Weile stehen und sprach mit Mai.
    Shigeko wünschte sich ein Gehör, das scharf genug war, um zu verstehen, was die beiden redeten. Doch im nächsten Moment schalt sie sich für das, was ganz offensichtlich Eifersucht war. Dieses Gefühl trübte sogar ihre Erleichterung darüber, dass ihr Vater und Hiroshi unverletzt waren.
    Tenba witterte das Kirin und wieherte laut. Hiroshi sah zu Shigeko und sie bemerkte den Ausdruck, der über sein Gesicht glitt und ihn sofort wieder zu dem Mann werden ließ, den sie so gut kannte.
    Ich liebe ihn , dachte sie. Wenn ich heirate, dann nur ihn .
    Er verabschiedete sich von Mai und führte die Tiere zu den Spalieren der Pferde. Dort band er Keri neben Ashige an und Tenba neben dem Kirin.
    Â»Jetzt sind alle glücklich«, sagte Shigeko, als die Tiere fraßen und tranken. »Sie haben Futter, sie haben ihre Gefährten, sie haben die Schrecken dieses Tages vergessen … Sie wissen nicht, was ihnen morgen bevorsteht.«
    Gemba sagte, er müsse ein wenig allein sein, und ging.
    Â»Er will nach Art des Weges des Houou Kraft sammeln«, sagte Shigeko. »Das sollte ich auch tun. Aber ich habe das Gefühl, alles verraten zu haben, was die Meister mich gelehrt haben.« Sie wandte sich ab, weil plötzlich Tränen hinter ihren Lidern brannten.
    Â»Ich weiß nicht genau, ob ich heute jemanden getötet habe«, sagte sie leise. »Aber meine Pfeile haben viele Männer getroffen. Ich habe gut gezielt und kein Pfeil ging daneben. Die Hunde wollte ich nicht verletzen, diese Männer aber schon. Ich war froh, als ihr Blut floss. Wie viele von ihnen mögen jetzt tot sein?«
    Â»Ich habe heute auch getötet«, sagte Hiroshi. »Dazu bin ich in meiner Kindheit ausgebildet worden und es fiel mir leicht. Inzwischen empfinde ich allerdings Bedauern und Trauer. Aber ich weiß nicht, wie ich Ihrem Vater und den Drei Ländern sonst hätte treu bleiben oder ihn und Sie hätte beschützen können.«
    Nach kurzem Schweigen fügte er hinzu: »Morgen wird es noch schlimmer kommen. Dieses Scharmützel ist nichts im Vergleich zu der bevorstehenden Schlacht. Sie sollten nicht daran teilnehmen. Ihren Vater darf ich nicht im Stich lassen, aber ich schlage vor, dass Gemba Sie fortbringt. Sie können ja das Kirin mitnehmen. Reiten Sie nach Inuyama, zu Ihrer Tante.«
    Â»Ich will Vater auch nicht im Stich lassen«, sagte Shigeko und fügte unwillkürlich hinzu: »Und Lord Hiroshi ebenfalls nicht.« Sie spürte, dass sie errötete, und dann rutschte ihr heraus: »Was haben Sie eben zu dem Mädchen gesagt?«
    Â»Zu dem Mutomädchen? Ich habe ihr dafür gedankt,dass sie uns wieder einmal geholfen hat. Ich bin ihr sehr dankbar, weil sie uns von Takus Tod unterrichtet und heute an unserer Seite gekämpft hat.«
    Â»Oh! Natürlich«, sagte Shigeko und drehte sich nach dem Kirin um, weil sie ihre Verwirrung verbergen wollte. Sie sehnte sich danach, von Hiroshi in den Arm genommen zu werden, und sie hatte Angst, dass sie beide sterben könnten, ohne je von der Liebe gesprochen zu haben. Aber wie sollte sie jetzt davon reden, umringt von Soldaten, Pferdeknechten und Pferden, zumal sie es tief bereute, getötet zu haben, und ihre Zukunft so unsicher war?
    Die Pferde waren versorgt. Sie hatten keinen Anlass mehr, hier noch länger zu verweilen.
    Â»Lassen Sie uns ein paar Schritte gehen«, sagte sie. »Wir sollten uns das Gelände anschauen und dann meinen Vater suchen.«
    Es war noch hell. Weit im Westen drangen die letzten Sonnenstrahlen durch die Wolkenbänke. Der Himmel, der zwischen ihren dunkelgrauen Zitadellen sichtbar war, hatte die Farbe kalter Asche. Der Mond stand hoch im Osten und wurde langsam silbrig.
    Shigeko wusste nichts zu sagen. Schließlich sprach Hiroshi. »Lady Shigeko«, sagte er. »Mir geht es nur darum,

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