Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
Vom Netzwerk:
hatten ihre Meinung. Sie hatten ihre Knechtschaft unter den Tohan und den Noguchi verabscheut und verspürten kein Verlangen, solche Zeiten unter der Herrschaft der Arai wiederaufleben zu lassen. Zenkos Abreise aus der Stadt wurde von Jubel und offener Abneigung begleitet, und die Wachen am Ende seines Trosses wurden mit Abfall, zum Teil sogar mit Steinen beworfen.
    Miki und Maya bekamen kaum etwas davon mit. Sie rannten blindlings und unsichtbar durch die engen Straßen, um so viel Abstand wie möglich zwischen sich und Hisao und Akio zu bringen. Am Meeresufer war es auszuhalten, aber in der Stadt war es drückend heiß. Alles roch nach Fisch und verfaulendem Seetang, und der rasche Wechsel von tiefstem Schatten zu grellem Licht brachte den Orientierungssinn der Schwestern durcheinander. Maya war schon erschöpft von der Nacht ohne Schlaf, der Begegnung mit Hisao und dem Gespräch mit der Geisterfrau. Beim Rennen warf sie immer wieder nervöse Blicke über die Schulter, denn sie war sich sicher, dass Hisao sie verfolgte. Er würde sie niemals ziehenlassen. Und Akio hatte inzwischen bestimmt von der Katze erfahren. Hisao wird bestraft werden , dachte sie, wusste aber nicht, ob sie dies freuen oder betrüben sollte.
    Ihre Müdigkeit wurde immer stärker und sie merkte, wie sie wieder sichtbar wurde. Sie verlangsamte ihre Schritte, um zu Atem zu kommen, und sah, dass Miki neben ihr erschien. Auf dieser Straße herrschte Stille. Die meisten Menschen waren in ihren Häusern und aßen zu Mittag. Direkt neben ihnen hockte ein Mann vor einem kleinen Laden auf dem Boden und schärfte Messer mit einem Schleifstein, wobei er das Wasser des kleinen Kanals benutzte, der vor den Häusern verlief. Beim plötzlichen Erscheinen der Mädchen schrak er zusammen und ließ das Messer fallen. Maya war verzweifelt und fühlte sich schutzlos. Ohne viel Nachdenken griff sie nach dem Messer und stieß es dem Mann in die Hand.
    Â»Was tust du da?«, schrie Miki.
    Â»Wir brauchen Waffen, Proviant und Geld«, antwortete Maya. »Und er wird uns damit versorgen.«
    Der Mann starrte ungläubig seine blutende Hand an. Maya setzte ihr zweites Ich ein, erschien hinter ihm und schnitt ihn noch einmal, diesmal am Nacken.
    Â»Besorg uns Proviant und Geld, sonst bist du tot«, sagte sie. »Schwester, nimm dir auch ein Messer.«
    Miki nahm ein kleines Messer von dem Tuch, das auf dem Boden ausgebreitet war. Sie ergriff den Mann bei der unverletzten Hand und führte ihn in den Laden. Seine Augen waren vor Schreck geweitet und er zeigte ihnen, wo er ein paar Münzen aufbewahrte, und drückte die Reisbälle, die ihm seine Frau zubereitet hatte, in Mayas Hand.
    Â»Tötet mich nicht«, bat er. »Ich hasse die Schlechtigkeit von Lord Arai. Ich weiß, dass er die Götter gegen sich aufgebracht hat, aber dafür kann ich nichts. Ich bin nur ein armer Handwerker.«
    Â»Die Götter bestrafen das Volk für die Schlechtigkeit des Herrschers«, verkündete Maya. Wenn dieser Dummkopf sie für Dämonen oder Geister hielt, würde sie dies nach Kräften ausnutzen.
    Â»Was hatte das zu bedeuten?«, fragte Miki, nachdem sie den Laden verlassen hatten, beide mit Messern bewaffnet, die sie unter ihren Kleidern versteckten.
    Â»Das erzähle ich dir später. Lass uns erst einmal ein Versteck suchen. Irgendeinen Ort, wo es Wasser gibt.«
    Sie folgten dem Kanal und gelangten auf der Straße, die in nördlicher Richtung aus der Stadt führte, zu einem Schrein und einem kleinen Gehölz mit einem Teich, der von einer Quelle gespeist wurde. Dort löschten sie ihren Durst. Dann verbargen sie sich hinter Büschen und teilten die Reisbälle. Hoch oben in den Zedern krächzten Krähen, und die Zikaden zirpten monoton. Den Mädchen lief der Schweiß über das Gesicht, und unter ihren Kleidern juckte der feuchte Körper, der auf der Schwelle zwischen Kind und Frau stand.
    Â»Unser Onkel stellt eine Armee gegen Vater auf«, sagte Maya. »Wir müssen nach Hagi, um Mutter zu warnen. Tante Hana ist auf dem Weg dorthin. Mutter darf ihr nicht trauen.«
    Â»Aber Maya, du hast deine Stammesfähigkeiten gegen einen unschuldigen Mann eingesetzt. Das hat Vater uns verboten.«
    Â»Hör zu, Miki, du weißt nicht, was ich durchgemacht habe. Ich musste erleben, wie Taku und Sada vor meinen Augen ermordet wurden. Kikuta Akio hat mich gefangen

Weitere Kostenlose Bücher