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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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gehört.«
    Â»Lord Takeo«, begann sie, und sein Herz krampfte sich vor Furcht zusammen. Es regnete schon wieder und Diener kamen mit Schirmen angelaufen, die in der grauen Luft glänzten.
    Â»Dr. Ishida ist da«, fuhr sie fort. »Ich werde sofort nach ihm schicken. Er wird sich um Sie kümmern.«
    Â»Ishida ist hier? Warum?«
    Â»Er wird Ihnen alles erzählen«, sagte Ai, und bei ihrem sanften Ton erschrak er tief. »Kommen Sie herein. Möchten Sie zuerst ein Bad nehmen? Und wir werden für alle Essen zubereiten.«
    Â»Ja, ich werde baden«, antwortete er, weil er die Neuigkeiten einerseits hinauszögern und andererseits gefasst und gestärkt sein wollte, wenn er sie hörte. Nach überstandenem Fieber und all den Schmerzen fühlte er sich hellwach: Sein Gehör war noch schärfer als sonst und jedes Geräusch hallte schmerzhaft in seinen Ohren.
    Er ging gemeinsam mit Gemba zu den Teichen, in denen die heißen Quellen sprudelten, und sie zogen ihre schmutzigen Gewänder aus. Gemba entfernte vorsichtig die Verbände von Takeos Schulter und Arm und wusch mit dem kochend heißen Wasser die Wunde aus. Das brannte und Takeo fühlte sich noch schwächer.
    Â»Sie verheilt gut«, sagte Gemba, doch Takeo schwieg und nickte nur. Auch als sie sich wuschen und in das blubbernde, schwefelhaltige Wasser stiegen, sprachensie kein Wort. Der Regen fiel sanft auf ihre Gesichter und Schultern und umgab sie, als befänden sie sich plötzlich in einer anderen Welt.
    Â»Ich kann hier nicht ewig bleiben«, sagte Takeo schließlich. »Wirst du mich begleiten, um zu hören, was Ishida nach Inuyama geführt hat?«
    Â»Natürlich«, sagte Gemba. »Wenn man das Schlimmste weiß, weiß man auch, wie es weitergehen kann.«
    Ai brachte Suppe und gegrillten Fisch, Reis und Sommergemüse und bediente sie persönlich. Sie aßen rasch. Dann befahl sie, die Tabletts abzuräumen. Als die Dienerinnen mit Tee zurückkehrten, war Dr. Ishida bei ihnen.
    Ai goss den Tee in die Schalen mit der dunkelblauen Glasur. »Ich lasse Sie jetzt allein.« Als sie sich hinkniete, um die Tür aufzuschieben, sah Takeo, wie sie sich mit dem Ärmel die Tränen wegwischte.
    Â»Noch eine Wunde?«, sagte Ishida, nachdem sie einander begrüßt hatten. »Lassen Sie mich einen Blick darauf werfen.«
    Â»Später«, sagte Takeo. »Sie verheilt schon.«
    Er trank einen Schluck Tee, schmeckte ihn aber kaum. »Sie sind den weiten Weg bestimmt nicht mit guten Neuigkeiten gekommen, nehme ich an.«
    Â»Ich war der Ansicht, dass Sie es so schnell wie möglich erfahren sollten«, erwiderte Ishida. »Vergeben Sie mir, denn ich habe das Gefühl, als wäre alles meine Schuld. Sie haben Ihre Frau und Ihren Sohn in meiner Obhut zurückgelassen. So etwas kann passieren – Säuglinge sind immer gefährdet. Manchmal entgleitensie uns.« Er sah Takeo hilflos an. Er wollte etwas sagen, brachte vor Trauer aber kein Wort hervor und Tränen liefen ihm über die Wangen.
    In Takeos Ohren hämmerte das Blut. »Wollen Sie mir sagen, dass mein Sohn tot ist?« Er wurde von Trauer überwältigt und brach sofort in Tränen aus. Das winzige Wesen, das er kaum gekannt hatte und nun nie mehr kennenlernen würde.
    Diesen neuen Schicksalsschlag verkrafte ich nicht , dachte er. Und dann: Wenn ich ihn nicht verkraften kann, wie muss es dann erst Kaede ergehen?
    Â»Ich muss sofort zu meiner Frau«, sagte er. »Wie hat sie es aufgenommen? War es eine Krankheit? Ist sie auch krank?«
    Â»Es war einer dieser rätselhaften Tode, wie sie bei Säuglingen manchmal vorkommen«, sagte Ishida mit gebrochener Stimme. »Am Abend zuvor war der Junge noch kerngesund, wohlgenährt, hat gelächelt und gelacht und ist problemlos eingeschlafen. Dann ist er nicht wieder erwacht.«
    Â»Wie kann das sein?«, fragte Takeo fast zornig. »War es etwa Hexerei? Was ist mit Gift?« Ihm fiel ein, dass sich Hana in Hagi aufhielt. Hatte sie den Tod seines Sohnes herbeigeführt?
    Er weinte und versuchte gar nicht erst, seine Tränen zu verbergen.
    Â»Es gab keine Anzeichen für Gift«, sagte Ishida. »Und was Hexerei betrifft – da bin ich ratlos. Solche Tode sind nichts Ungewöhnliches, aber ich weiß nicht, was sie verursacht.«
    Â»Und meine Frau? Wie geht es ihr? Sie muss doch vor Trauer halb wahnsinnig sein.

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