Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
leise. Die Wunde auf seiner Brust war schon verschorft und schien sauber zu sein, aber als Takeo ihn fortführte, lahmte er rechts, obwohl der Huf unverletzt zu sein schien. Takeo tippte auf eine Entzündung der Schultermuskeln, führte das Pferd zum Teich und kühlte es eine Weile mit Wasser. Doch Tenba schonte weiter sein rechtes Vorderbein und konnte wohl nicht geritten werden. Da erinnerte sich Takeo an Hiroshis Pferd, Keri. Er konnte es unter den überlebenden Tieren nicht entdecken. Das fahlgraue Pferd mit der schwarzen Mähne, Rakus Sohn, war offenbar in der Schlacht getötet worden, nur wenige Wochen nach seinem Halbbruder Ryume, Takus Pferd. Beide waren siebzehn Jahre alt geworden, ein gutes Alter, und trotzdem betrübte ihn ihr Tod. Taku war nicht mehr am Leben, Hiroshi war dem Tode nah. Als Takeo ins Zelt zurückkehrte, war er düster gestimmt. Drinnen herrschte ein Zwielicht. Shigeko war neben Hiroshi eingeschlafen, ihr Gesicht lag dicht an dem seinen. Wie ein Ehepaar.
Takeo betrachtete die beiden mit tiefer Zuneigung. »Jetzt kannst du heiraten, wen du magst«, sagte er laut.
Er kniete sich neben Hiroshi und legte ihm eine Hand auf die Stirn. Der junge Mann fühlte sich kühler an. Sein Atem war langsamer und tiefer geworden. Takeo hielt ihn für bewusstlos, doch Hiroshi schlug plötzlich die Augen auf und lächelte.
»Lord Takeo â¦Â«, flüsterte er.
»Besser, du redest nicht. Du wirst bestimmt wieder gesund.«
»Die Schlacht?«
»Ist vorbei. Saga befindet sich auf dem Rückzug.«
Hiroshi schloss wieder die Augen, aber das Lächeln verlieà seine Lippen nicht.
Takeo, dem ein wenig leichter zu Mute war, legte sich hin. Trotz seiner Schmerzen überkam ihn der Schlaf wie eine dunkle, erlösende Wolke.
Am nächsten Morgen brach er nach Inuyama auf. Wie von Shigeko vorgeschlagen, begleitete ihn Gemba, und Minoru, der seine gutmütige Stute ritt, kam auch mit. Die Stute, Gembas Rappe und Ashige waren ausgeruht, und so kamen sie rasch voran. Am dritten Tag litt Takeo an leichtem Wundfieber, und die Stunden, in denen sein Körper gegen die Symptome kämpfte, vergingen langsam und quälend. Er wurde von Träumen und Halluzinationen heimgesucht und hatte abwechselnd Fieber und Schüttelfrost, weigerte sich aber, den Ritt abzubrechen. Bei jedem Halt verbreiteten sie die Nachricht von der Schlacht und ihrem Ausgang, und bald machte sich ein ganzer Strom von Menschen auf den Weg zum Gebirge der Hohen Wolken, um den Kriegern Proviant zu bringen und dabei zu helfen, die Verwundeten nach Hause zu schaffen.
Ãberall in den Drei Ländern hatte es heftig geregnet, und der Reis war gewachsen und trug viele Körner, aber da die Regenzeit erst spät eingesetzt hatte, würde dieErnte nicht so gut wie sonst ausfallen. Die StraÃen waren matschig und immer wieder überflutet. Takeo vergaà oft, wo er war, und glaubte, sich in der Vergangenheit zu befinden und neben Makoto auf Aoi zu einem Hochwasser führenden Fluss und einer zerstörten Brücke zu reiten.
Kaede friert bestimmt , dachte er. Es ging ihr nicht gut. Ich muss zu ihr, um sie zu wärmen.
Doch er zitterte selbst und plötzlich war Yuki an seiner Seite. »Frierst du?«, fragte sie. »Soll ich dir Tee bringen?«
»Ja«, sagte er. »Aber du darfst dich nicht zu mir legen, denn ich bin verheiratet.«
Dann fiel ihm ein, dass Yuki tot war und niemals wieder bei ihm oder jemand anderem liegen würde, und er empfand ein schmerzhaftes Bedauern über ihr Schicksal und die Rolle, die er dabei gespielt hatte.
Als sie schlieÃlich Inuyama erreichten, war das Fieber abgeklungen und er war wieder klar im Kopf. Doch seine Ãngste waren noch da. Sie konnten nicht einmal von dem herzlichen Empfang verscheucht werden, den ihm die Bürger der Stadt bereiteten. Sie tanzten in den StraÃen, um seine Rückkehr und die Nachricht des Sieges zu feiern. Kaedes Schwester Ai begrüÃte ihn auf dem Haupthof des Schlosses, und Minoru und Gemba halfen ihm vom Pferd.
»Dein Mann ist wohlauf«, erzählte er ihr sofort und sah, wie sich ihr Gesicht vor Erleichterung aufhellte.
»Dem Himmel sei Dank«, erwiderte sie. »Sind Sie etwa verwundet?«
»Ich glaube, ich habe das Schlimmste überstanden. Hast du Neuigkeiten von meiner Frau? Seit wir im vierten Monat aufgebrochen sind, habe ich nichts mehr von ihr
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