Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
Anfang hat, hat auch ein Ende , hatte Matsuda geantwortet.
Nun war das Ende unvermittelt, aber unausweichlich gekommen. Die feinen Maschen des Himmelsnetzes umschlossen ihn, wie sie am Ende jedes Lebewesen umschlossen. Alles war vorbei. Er würde nach Terayama zurückkehren.
Gemba meditierte immer noch am Waldrand, undneben ihm grasten die Pferde, deren Mähnen vom Tau benetzt waren. Als Takeo näher kam, hoben sie die Köpfe und wieherten.
Gemba sagte nichts, sondern sah Takeo nur mit seinem klugen, mitfühlenden Blick an. Dann stand er auf und sattelte die Pferde, wobei er die ganze Zeit leise summte. Takeos Arm und Schulter schmerzten wieder und er spürte, wie das Fieber Besitz von ihm ergreifen wollte.
Als sie auf dem schmalen Pfad zum Tempel ritten, der tief in den Bergen lag, ging die Sonne auf und brannte den Nebel weg. Takeo wurde leicht zu Mute. Der Rhythmus des Pferdetrotts und die Sonnenhitze sorgten dafür, dass alles von ihm abfiel. Trauer, Bedauern und Scham verschwanden. Er erinnerte sich an den traumartigen Zustand, in den er in Mino verfallen war, als er zum ersten Mal mit der blutigen Gewalt der Krieger konfrontiert worden war. Nun kam es ihm so vor, als wäre er an jenem Tag tatsächlich gestorben, als wäre sein Leben seither so flüchtig wie Nebel gewesen, ein Traum von Leidenschaft und Tatkraft, der sich im klaren, blendenden Licht in nichts auflöste.
KAPITEL 53
Shigeko hatte den Weg nach Inuyama nur langsam zurücklegen können â sie begleitete die vielen Verwundeten, unter ihnen das Pferd Tenba, das Kirin und jener Mann, den sie liebte. Obwohl sich viele Männer in einem sehr kritischen Zustand befanden, hatte Kahei ihnen befohlen, auf der Ebene zu warten, während zunächst die Hauptarmee nach Inuyama zurückkehrte, denn die StraÃe war steil und schmal und sie mussten sich beeilen. Als der Weg schlieÃlich frei war, glaubte Shigeko, dass sich Pferd und Kirin wieder erholten, Hiroshi jedoch sterben würde. Sie verbrachte den langen Tag damit, gemeinsam mit Mai die Verwundeten zu pflegen. Abends gestattete sie es sich, schwach zu werden und im Kopf einen unmöglichen Handel zu schlieÃen, bei dem sie dem Himmel und allen Göttern alles nur Denkbare anbot, wenn sie Hiroshis Leben verschonten. Ihre eigene Wunde heilte rasch. Die ersten paar Tage ging sie zu FuÃ. Dass sie humpelte, war nicht schlimm, denn auf dem Bergpfad kamen sie nur im Schneckentempo voran. Die Verwundeten redeten wirr im Fieberwahn, und jeden Morgen mussten sie die Leichen all derer begraben, die während der Nacht gestorben waren. Wie schrecklich im Krieg selbst ein Sieg ist , dachte sie.
Hiroshi lag klaglos auf der Trage und versank immer wieder in Bewusstlosigkeit. Jeden Morgen erwartete Shigeko, ihn totenstarr und kalt vorzufinden, doch er starb nicht, wurde aber auch nicht wirklich gesund. Am dritten Tag wurde die StraÃe besser und weniger steil, und sie konnten zwischen Morgen- und Abenddämmerung eine gröÃere Strecke zurücklegen. An jenem Abend rasteten sie im ersten richtigen Dorf. Dort gab es einen Ochsen samt Karren, auf den man Hiroshi am nächsten Morgen umbettete. Shigeko kletterte mit hinauf und setzte sich neben ihn, gab ihm zu trinken und beschattete sein Gesicht vor der Sonne. Tenba und das Kirin humpelten nebenher.
Kurz vor Inuyama kam ihnen Dr. Ishida entgegen, der einen Tross frischer Packpferde mit sich führte, neue Vorräte an weichem Papier und Seidenbandagen und auÃerdem Kräuter und Salben. Unter seiner Pflege erholten sich viele Männer, die sonst gestorben wären, und obwohl Ishida Shigeko nichts versprechen konnte, keimte die Hoffnung in ihr auf, dass auch Hiroshi überlebte.
Ishida wirkte sehr ernst und war mit den Gedanken offenbar ganz woanders. Wenn er sich nicht um die Verwundeten kümmerte, ging er gern neben dem Kirin, das krank zu sein schien, denn sein Kot war fast flüssig, und es war so dürr, dass seine Knochen sich unter dem Fell abzeichneten. Es war so sanft wie eh und je und schien Ishidas Gesellschaft zu genieÃen.
Shigeko erfuhr vom Tod ihres kleinen Bruders und dass ihre Mutter dadurch wie von Sinnen war. Sie sehntesich danach, zu ihrem Vater in das Mittlere Land zurückzukehren. AuÃerdem machte sie sich groÃe Sorgen um die Zwillinge. Ishida sagte, er habe Miki in Hagi gesehen, aber wo Maya stecke, wisse niemand. Nach einer Woche in Inuyama verkündete
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