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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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Sterne des Großen Bären am lauen Sommerhimmel auf.
    Auf den Stadtmauern und hinter den Toren hörte er die Wachtposten: Männer der Shirakawa und Arai mit ihren westlichen Akzenten.
    Im Schutz der Dunkelheit setzte er zum Sprung auf die Mauer an. Doch er hatte sich leicht verschätzt, klammerte sich an die Ziegel und keuchte vor Schmerz, als der Schorf der halb verheilten Wunde auf seiner rechten Schulter aufriss. Er hatte nicht erwartet, so viel Lärm zu machen, und duckte sich unsichtbar auf das Dach. Er rechnete damit, dass die Wachen, die die Stadt nicht wirklich unter Kontrolle hatten, nervös und aufmerksam waren und jederzeit mit einem Gegenangriff rechneten, und tatsächlich erschienen unter ihm sofort zwei Männer mit lodernden Fackeln. Sie gingen die Straße einmal auf und ab, während Takeo den Atem anhielt und versuchte, den Schmerz nicht zu beachten. Als er den Ellbogen über den Ziegeln anwinkelte und sich die linke Hand auf die rechte Schulter legte, spürte er die Nässe des Blutes, das aus der Wunde quoll. Zum Glück war es so wenig, dass keine Tropfen herabfielen und ihn verrieten.
    Die Wachtposten zogen sich zurück. Takeo ließ sich auf den Boden fallen, diesmal lautlos, und begann, sich durch die Straßen zum Schloss vorzuarbeiten. Es war spät am Abend, aber in der Stadt war es weder still noch ruhig. Überall liefen verängstigte Menschen herum, vondenen viele planten, die Stadt zu verlassen, sobald die Tore geöffnet wurden. Takeo hörte, wie junge Männer und Frauen verkündeten, sie wollten die Männer Arais mit bloßen Händen bekämpfen. Yamagata solle den Otori nicht noch einmal verloren gehen, sagten sie. Er hörte, wie Kaufleute das Ende von Frieden und Wohlstand beklagten und Frauen Lady Otori verfluchten, weil sie ihnen den Krieg gebracht hatte. Takeo tat das Herz weh für Kaede, und zugleich suchte er nach einer Erklärung für ihr Tun. Und dann hörte er, wie die Menschen flüsterten: »Jedem, der sie begehrt, bringt sie den Tod, und nun wird sie nicht nur ihrem Mann den Tod bringen, sondern auch unseren Männern und Söhnen.«
    Nein, hätte er am liebsten gerufen. Nicht mir. Sie kann mir den Tod nicht bringen . Trotzdem befürchtete er, dass sie es schon getan hatte.
    Er durchquerte unbemerkt die Menge. Am Rand des Schlossgrabens duckte er sich zwischen Weidenbäume, die sich entlang des Ufers ausgebreitet hatten. Man hatte sie nicht gefällt, denn Yamagata war seit sechzehn Jahren nicht mehr angegriffen worden, und die Weiden waren zu einem Symbol für den Frieden und die Schönheit der Stadt geworden. Er wartete lange auf Art des Stammes und verlangsamte Atem und Herzschlag. Der Mond ging unter und die Stadt wurde still. Schließlich holte er tief Luft, glitt im Schutz des Laubes der Bäume ins Wasser und tauchte durch den Fluss.
    Er nahm den gleichen Weg wie damals, als er vorgehabt hatte, dem Leiden der gefolterten Verborgenen ein Ende zu setzen. Es war Jahre her, dass man Gefangene inKörben an die Mauern dieses Turmes gehängt hatte. Sollten sich diese schlimmen Zeiten nun wiederholen? Doch damals war Takeo jung gewesen und er hatte Haken zum Erklettern der Mauern gehabt. Jetzt war er behindert, verwundet und erschöpft und kam sich vor wie ein verstümmeltes Insekt, das ungelenk die Schlossmauer erklomm.
    Er überquerte das Tor des zweiten Schlosshofes. Auch hier waren die Wachtposten nervös und unruhig und sowohl verwirrt als auch aufgeregt, weil sie so unerwartet Besitz vom Schloss ergriffen hatten. Takeo hörte, wie sie über das kurze und blutige Scharmützel sprachen, das ihnen den Sieg beschert hatte. Kaedes hartes Durchgreifen überraschte sie und weckte Bewunderung ihn ihnen, und sie freuten sich, dass den Seishuu auf Kosten der Otori der Aufstieg gelungen war. Ihre Beschränktheit und Wankelmütigkeit erzürnten Takeo, und als er in den Schlosshof hinabgeklettert war und leichtfüßig durch den in Stein gehauenen Gang in den Garten der Residenz lief, war er wütend und verzweifelt.
    Am Ende der Veranda saßen zwei weitere Wachtposten vor einem kleinen Kohlenbecken, und links und rechts von ihnen brannte je eine Lampe. Takeo glitt so dicht an ihnen vorbei, dass er sah, wie die Flammen flackerten und rußig qualmten. Die verdutzten Männer starrten in den dunklen Garten. Dann glitt eine Eule mit lautlosem Flügelschlag vorüber und

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