Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
sie momentan zu verfügen?
»Ich habe nicht vor, dem Kaiser meine Ehrerbietung zu verweigern«, sagte er vorsichtig. »Er wird überall auf den Acht Inseln verehrt, weil der Friede sein Ziel ist. Er wird doch gewiss keinen Krieg gegen sein eigenes Volk führen?«
Er wird doch wohl keine Armee gegen mich aufstellen?
»Lord Otori wird nicht über die letzten Neuigkeiten im Bilde sein«, sagte Kono und in seiner Stimme schwang Bedauern mit. »Der Kaiser hat einen neuen General ernannt, den Nachkommen einer der ältesten Familien des Ostens, Herrscher über viele Domänen und Befehlshaber Zehntausender Männer. Natürlich ist dem Kaiser vor allem am Frieden gelegen, aber unrechtmäÃiges Handeln kann er nicht dulden, und nun besitzter einen starken rechten Arm, mit dessen Hilfe er für Gerechtigkeit und Bestrafung sorgen kann.«
Diese Worte, so sanft sie klangen, waren ein Schlag ins Gesicht, und Takeo spürte, wie die Wut in ihm hochstieg. Dass man ihn für einen Verbrecher hielt, war unerträglich und sein Otoriblut lehnte sich dagegen auf. Doch seit Jahren hatte er Streit und Herausforderungen stets durch Diplomatie und kluge Verhandlungen gemeistert. Er wollte nicht glauben, dass diese Methoden in diesem Fall versagten. Er lieà die Worte und die Beleidigung an sich abperlen, versuchte, seine Selbstbeherrschung wiederzugewinnen, und begann, sich eine Antwort zu überlegen.
Also haben sie einen neuen Kriegsherrn. Warum habe ich noch nichts von ihm gehört? Wo steckt Taku, wenn ich ihn brauche? Wo steckt Kenji?
Die zusätzlichen Waffen und Männer, für die Arai gesorgt hatte â sollten sie etwa der Unterstützung dieser neuen Bedrohung dienen? Die Waffen â was, wenn es sich wirklich um Feuerwaffen handelte? Was, wenn sie schon auf dem Weg nach Osten waren?
»Sie sind hier als Gast meines Vasallen, Arai Zenko«, sagte er schlieÃlich. »Und daher mein Gast. Ich denke, Sie sollten Ihren Aufenthalt im Westen verlängern, das Gut Ihres verstorbenen Vaters besuchen und dann mit Lord Arai nach Kumamoto zurückkehren. Ich werde nach Ihnen schicken lassen, sobald ich entschieden habe, wie ich dem Kaiser antworte, wohin ich nach einer Abdankung gehen werde und wie der Friede am besten zu bewahren ist.«
»Ich wiederhole, dass ich nur ein Gesandter bin«, sagte Kono und verneigte sich mit geheuchelter Aufrichtigkeit.
Zenko kehrte zurück und das Mittagsmahl wurde gereicht. Obwohl es üppig und köstlich war, hatte Takeo kaum Appetit. Das Gespräch war oberflächlich und höflich und er versuchte, sich daran zu beteiligen.
Nach dem Essen begleitete Zenko Kono zum Gästetrakt. Jun und Shin hatten drauÃen auf der Veranda gewartet. Sie erhoben sich und folgten Takeo schweigend zu seinen Gemächern.
»Lord Kono darf das Haus nicht verlassen«, sagte er zu ihnen. »Jun, du platzierst Wachtposten am Tor. Shin, du bringst sofort Befehle zum Hafen. Lord Kono wird hier im Westen bleiben, bis ich ihm die schriftliche Erlaubnis zur Rückkehr nach Miyako gegeben habe. Das Gleiche gilt für Lady Arai und ihre Söhne.«
Die Cousins tauschten einen Blick, sagten aber nichts weiter dazu. »Gewiss, Lord Otori.«
»Minoru«, sagte Takeo zu seinem Schreiber. »Begleite Shin zum Hafen und bringe so viel wie möglich über die auslaufenden Schiffe in Erfahrung, vor allem über jene, die nach Akashi segeln.«
»Verstanden«, antwortete Minoru. »Ich kehre so schnell es geht zurück.«
Takeo setzte sich auf die Veranda und hörte, wie die Stimmung im Haus umschlug, als man seine Befehle befolgte: die schweren Schritte der Wachen, Juns scharfe, nachdrückliche Kommandos, das nervöse Herumgehusche der Dienerinnen und ihre geflüsterten Kommentare, ein überraschter Ausruf Zenkos und Hanas leiser Rat. Als Jun zurückkam, befahl Takeo ihm, drauÃen vor seinen Gemächern zu bleiben und niemanden hereinzulassen. Dann zog er sich nach drinnen zurück und ging Minorus Protokoll des Treffens mit Kono durch, während er auf die Rückkehr seines Schreibers wartete.
Die Schriftzeichen, streng und bildhaft und in Minorus fast vollkommener Handschrift, sprangen ihn förmlich an. Exil, verbrecherisch, unrechtmäÃig, Verrat.
Er kämpfte gegen die Wut an, die diese Beleidigungen in ihm weckten, zumal er wusste, dass Jun nur drei Schritte entfernt war. Ein einziger
Weitere Kostenlose Bücher