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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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war bereits in der Haupthalle. Wie Takeo trug er ein offizielles Gewand, das allerdings reicher verziert war und Goldfäden auf Kragen und Schärpe hatte. Er verneigte sich und Takeo nickte ihm zu und reichte Jato an Minoru, der das Schwert behutsam in einen noch üppiger geschnitzten Ständer an der Wand stellte. Zenkos Schwert ruhte bereits in einem ähnlichen Ständer. Dann setzte sich Takeo an das Kopfende des Raumes, ließ den Blick über Dekoration und Wandschirme gleiten und fragte sich, wie all dies auf Kono wirken mochte, der den Prunk am Hofe des Kaisers gewohnt war. Diese Residenz war nicht so groß und beeindruckend wie die in Hagi oder Inuyama, und Takeo bedauerte es, den Edelmann nicht dort empfangen zu können. Er wird ein falsches Bild von uns bekommen. Er wird uns für grob und ungebildet halten. Ob das vielleicht von Vorteil wäre?
    Zenko schnitt kurz den vergangenen Abend an. Takeo brachte zum Ausdruck, wie sehr er die Jungen schätzte und lobte die beiden. Minoru bereitete am kleinen Schreibpult die Tusche zu und setzte sich dann auf die Hacken, den Blick gesenkt, als meditierte er. Es begann zu nieseln.
    Wenig später hörten sie die Geräusche, die einen Gast ankündigten, Hundegebell und die schweren Tritte der Sänftenträger. Zenko erhob sich und ging auf die Veranda. Takeo hörte, wie er ihren Gast begrüßte, und dann betrat Kono den Raum.
    Für den Bruchteil einer Sekunde trat ein Unbehagen ein, da sich keiner von beiden als Erster verbeugen wollte. Kono hob unmerklich die Augenbrauen und verneigte sich, allerdings so geziert, dass die Geste jeden Respekt vermissen ließ. Takeo wartete einen Atemzug lang, bevor er den Gruß erwiderte.
    Â»Lord Kono«, sagte er leise. »Es ist mir eine große Ehre.«
    Als Kono sich aufrichtete, musterte Takeo sein Gesicht. Er war dem Vater des Mannes nie begegnet, was nicht verhindert hatte, dass er von Fujiwara in seinen Träumen heimgesucht worden war. Nun versah er seinen alten Feind mit den Zügen seines Sohnes – der hohen Stirn und den wohlgeformten Lippen –, ohne zu ahnen, dass Kono seinem Vater tatsächlich in mancher Hinsicht ähnelte, auch wenn er diesem nicht wie aus dem Gesicht geschnitten war.
    Â»Lord Otori erweist mir die Ehre«, erwiderte Kono, und obgleich die Worte höflich waren, erkannte Takeo, dass sie nicht so gemeint waren. Es würde zu keiner offenen Aussprache kommen – dies war ihm sofort klar. Stattdessen würde das Treffen schwierig und angespannt werden und er musste scharfsinnig, geschickt und beharrlich sein. Er versuchte, innerlich zur Ruhe zu kommen, kämpfte gegen Müdigkeit und Schmerz an.
    Zunächst sprachen sie über das Gut. Zenko erklärte, was er über dessen Zustand wusste, und Kono verlieh seinem Wunsch Ausdruck, es selbst besuchen zu dürfen, eine Bitte, der Takeo widerspruchslos stattgab, da er nicht das Gefühl hatte, dass Kono ernsthaft daran interessiert war oder je dort leben wollte. Seinen Anspruch auf das Land konnte man vermutlich abgelten, indem man ihn als abwesenden Eigentümer anerkannte und ihm einen Teil des Gewinns in der Hauptstadt zukommen ließ – nicht alle Steuern, sondern einen Anteil davon. Das Gut war nur ein Vorwand für Konos Besuch, wenn auch ein völlig glaubwürdiger. Kono war aus einem anderen Grund gekommen, doch nach einer Stunde erörterten sie immer noch das Ergebnis von Reisernten und den Bedarf an Arbeitskräften. Takeo begann sich zu fragen, ob er je erfahren würde, um was es Kono wirklich ging. Wenig später erschien jedoch eine Wache mit einer Botschaft für Lord Arai in der Tür. Zenko entschuldigte sich vielmals und sagte, er sei gezwungen, sich für eine Weile zu entfernen, wolle aber beim Mittagsmahl wieder zu ihnen stoßen.
    Nachdem er gegangen war, schwiegen die beiden. Minoru beendete seine Aufzeichnungen dessen, was bisher gesagt worden war, und legte seinen Pinsel ab.
    Â»Ich muss mit Ihnen über eine recht delikate Angelegenheit reden«, sagte Kono. »Vielleicht wäre es das Beste, wenn ich unter vier Augen mit Lord Otori sprechen könnte.«
    Takeo hob die Augenbrauen und erwiderte: »Mein Schreiber wird bleiben.« Er befahl die anderen Diener mit einem Wink aus dem Raum.
    Als sie verschwunden waren, sagte Kono eine Weile kein Wort. Als er wieder sprach, klang er herzlicher und weniger geziert.
    Â»Lord

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