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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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noch offen stehende Tor. Die Hunde folgten ihm mit Blicken, aber die Wachen bemerkten ihn nicht. Seid froh, dass ihr nicht die Tore Miyakos bewacht , sagte er im Stillen zu den Hunden. Denn sie würden euch aus sportlichem Ehrgeiz mit Pfeilen spicken.
    An einer dunklen Ecke, ganz in der Nähe des Hafens, trat er unsichtbar in den Schatten und kam in der Verkleidung eines Kaufmannes wieder zum Vorschein, der von einem späten Termin in der Stadt zurückkehrte und sich darauf freute, seine Müdigkeit im Beisein von Freunden mit ein paar Bechern Wein zu verscheuchen. Die Luft roch nach Salz, Dörrfisch und dem Seetang, der am Ufer auf Gestellen trocknete, nach Fisch und Tintenfisch, die an den Essbuden gegrillt wurden. Laternen erhellten die schmalen Straßen und hinter den Wandschirmen glühten die Lampen in warmem Orange.
    Am Anleger rieben sich die Holzschiffe aneinander, knarrten in der auflaufenden Flut. Das Wasser schwappte gegen ihre Rümpfe, die gedrungenen Masten ragten dunkel vor dem Sternenhimmel auf. In der Ferne konnte Takeo gerade eben die Inseln der Umschlossenen See ausmachen. Hinter ihren zerklüfteten Silhouetten schimmerte das fahle Licht des aufgehenden Mondes.
    Neben den Ankertauen eines großen Schiffes glühte ein Kohlenbecken, und Takeo rief den Männern, die danebenhockten, gedörrte Meeresschnecken brieten und eine Flasche Wein kreisen ließen, im Dialekt der Stadt zu: »Ist Terada mit diesem Schiff gekommen?«
    Â»Ja, ist er«, antwortete einer. »Er isst im Umedaya.«
    Â»Haben Sie gehofft, das Kirin zu sehen?«, fügte ein anderer hinzu. »Lord Terada hat es an einem sicheren Ort versteckt, um es später unserem Herrscher, Lord Otori, zu zeigen.«
    Â»Das Kirin?« Takeo war erstaunt. Ein Kirin war ein mythisches Tier, teils Drache, teils Pferd, teils Löwe. Eigentlich existierte es nur in den Legenden. Was hatten Terada und Ishida da auf dem Festland entdeckt?
    Â»Das ist doch ein Geheimnis«, rügte der erste Mann seinen Freund. »Und du plapperst es ständig aus!«
    Â»Aber denk nur: ein Kirin!«, erwiderte der andere. »Was für ein Wunder, ein lebendes Kirin zu besitzen! Und beweist es nicht, dass Lord Otori an Weisheit und Gerechtigkeit alle übertrifft? Erst kehrt der Houou, der heilige Vogel, in die Drei Länder zurück und nun ist ein Kirin erschienen!« Er trank noch einen Schluck Wein und bot die Flasche dann Takeo an.
    Â»Trinken Sie auf das Kirin und auf Lord Otori!«
    Â»Vielen Dank«, sagte Takeo lächelnd. »Hoffentlich sehe ich es eines Tages.«
    Â»Erst, nachdem Lord Otori es zu Gesicht bekommen hat!«
    Als Takeo davonging, lächelte er immer noch, aufgeheitert vom billigen Wein und vom Wohlwollen der Männer.
    Wenn ich nur noch Kritik über Lord Otori höre – dann danke ich ab , sagte er sich im Stillen. Aber vorher nicht, nicht für zehn Kaiser und ihre Generäle.

KAPITEL 7

    Das Umedaya war ein zwischen Hafen und Stadtmitte gelegenes Esslokal, eines von vielen niedrigen Holzhäusern mit Blick auf den Fluss und flankiert von Weidenbäumen. Laternen hingen an den Verandapfosten und den davor vertäuten, flachen Kähnen, die Bündel mit Reis und Hirse und andere Feldfrüchte aus dem Binnenland zur Küste transportierten. Viele Gäste saßen draußen und genossen den Wetterumschwung und die Schönheit des Mondes, der jetzt über den Berggipfeln stand und sich silbern auf den Fluten spiegelte.
    Â»Willkommen! Willkommen!«, riefen die Diener Takeo zu, als dieser die Vorhänge des Lokals teilte und eintrat. Er fragte nach Terada und man zeigte auf eine Ecke der Innenveranda, wo Fumio gekochten Fisch verschlang und dabei lautstark redete. Dr. Ishida saß auch da, er aß ebenfalls mit Heißhunger und hörte leise lächelnd zu. Einige von Fumios Männern, die Takeo zum Teil bekannt waren, waren bei ihnen.
    Takeo, der unerkannt im Schatten stand, musterte seinen alten Freund eine Weile, während die Mägde mit Tabletts voller Essen und mit Weinflaschen an ihm vorbeihasteten. Mit den vollen Wangen und dem beeindruckenden Schnurrbart sah Fumio so robust aus wie immer, schien jedoch eine neue Narbe an der Schläfe zu haben. Ishida war gealtert, er wirkte hagerer und seine Haut war gelblich. Takeo war froh, die beiden zu sehen, und stieg die Stufe zum Sitzbereich hinauf. Einer der früheren Piraten sprang sofort auf und

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