Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
versperrte ihm den Weg, weil er ihn für einen unwichtigen Kaufmann hielt, doch nach einem Moment völliger Verdutztheit erhob sich Fumio, stieà seinen Mann beiseite, flüsterte »Das ist Lord Otori!« und umarmte Takeo.
»Ich habe dich zwar erwartet, aber nicht erkannt!«, rief er aus. »Wirklich unheimlich â daran gewöhne ich mich nie.«
Dr. Ishida lächelte über das ganze Gesicht. »Lord Otori!« Er rief der Magd zu, sie solle mehr Wein bringen, und Takeo setzte sich neben Fumio, dem Doktor gegenüber, der ihn im Dämmerlicht anstarrte.
»Gibt es Ãrger?«, fragte Ishida, nachdem sie einander zugeprostet hatten.
»Ein paar Dinge, die besprochen werden müssen«, antwortete Takeo. Fumio befahl seine Männer mit einer Kopfbewegung an einen anderen Tisch.
»Ich habe ein Geschenk für dich«, sagte er zu Takeo. »Es wird dich von deinen Sorgen ablenken. Versuch mal zu raten, was es ist! Es übertrifft jeden deiner Herzenswünsche!«
»Eine Sache ersehne ich mehr als alles andere«, erwiderte Takeo. »Und zwar ein Kirin zu sehen, bevor ich sterbe.«
»Ah. Man hat es dir verraten. Diese elenden Taugenichtse. Ich reiÃe ihnen die Zungen heraus!«
»Sie haben es einem armen, unscheinbaren Kaufmann erzählt«, sagte Takeo lachend. »Ich muss dir verbieten, sie zu bestrafen. AuÃerdem konnte ich ihnen kaum glauben. Stimmt es denn?«
»Ja und nein«, sagte Ishida. »Natürlich ist es kein echtes Kirin. Ein Kirin ist ein mythisches Geschöpf und dies ist ein Tier. Aber es ist völlig auÃergewöhnlich und ähnelt einem Kirin mehr als alles andere, was ich unter dem Himmel gesehen habe.«
»Ishida ist ihm regelrecht verfallen«, sagte Fumio. »Er verbringt Stunden bei ihm. Er ist schlimmer als du mit deinem alten Pferd â wie hieà es gleich noch?«
»Shun«, sagte Takeo. Shun war im letzten Jahr an Altersschwäche gestorben. Ein solches Pferd würde es kein zweites Mal geben.
»Dieses Geschöpf hier kannst du nicht reiten, aber vielleicht wirst du ihm die gleiche Zuneigung entgegenbringen wie Shun«, sagte Fumio.
»Ich kann kaum erwarten, es zu sehen. Wo ist es jetzt?«
»Im Tempel Daifukuji. Dort gibt es einen ruhigen Garten mit einer hohen Mauer. Wir zeigen es dir morgen. Aber da du uns die Ãberraschung verdorben hast, kannst du nun ebenso gut von deinen Sorgen berichten.«
Fumio schenkte Wein nach.
»Was weiÃt du über den neuen General des Kaisers?«, fragte Takeo.
»Hättest du mich vor einer Woche gefragt, dann hätte ich geantwortet: nichts, denn wir waren ja sechs Monate fort. Aber wir sind auf dem Rückweg in Akashivorbeigekommen und in der freien Stadt redet man ständig über ihn. Er heiÃt Saga Hideki und hat den Spitznamen âºder Hundefängerâ¹.«
»Der Hundefänger?«
»Er ist versessen auf die Hundejagd und unübertroffen darin, wie man hört. Er ist ein meisterhafter Reiter und Bogenschütze und ein brillanter Stratege. Er beherrscht die östlichen Provinzen, hat angeblich den Ehrgeiz, alle Acht Inseln zu erobern, und um das zu erreichen, ist er kürzlich auserkoren worden, die Schlachten Seiner Göttlichen Majestät zu schlagen und dessen Feinde zu vernichten.«
»Scheint so, als gehörte ich zu seinen Feinden«, sagte Takeo. »Lord Fujiwaras Sohn, Kono, hat mich heute aufgesucht, um mir eine Botschaft zu überbringen. Allem Anschein nach wird mir der Kaiser ein Schreiben senden, in dem er mich auffordert abzudanken, und wenn ich mich weigere, wird er mir seinen Hundefänger auf den Hals hetzen.«
Bei der Erwähnung von Fujiwara erbleichte Ishida. »Das sind wirklich ernste Sorgen«, murmelte er.
»Davon war in Akashi keine Rede«, sagte Fumio. »Man hat es wohl noch nicht öffentlich gemacht.«
»Gab es irgendwelche Hinweise darauf, dass man in Imai mit Feuerwaffen handelt?«
»Nein, ganz im Gegenteil. Mehrere Kaufleute sind auf mich zugekommen und haben mich nach Waffen und Salpeter gefragt, weil sie hofften, das Verbot der Otori umgehen zu können. Ich muss dich warnen, denn sie haben mir enorme Geldsummen angeboten. Wennder General des Kaisers sich für einen Krieg gegen dich rüstet, versucht er vermutlich, Waffen zu kaufen. Und für das Geld wird ihn früher oder später irgendjemand damit versorgen.«
»Ich
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