Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
fürchte, sie sind schon unterwegs«, sagte Takeo und erzählte Fumio von seinem Verdacht gegen Zenko.
»Sie sind uns nur einen knappen Tag voraus«, sagte Fumio, leerte sein Glas und stand auf. »Wir können sie abfangen. Ich hätte gern dein Gesicht beim Anblick des Kirin gesehen, aber Ishida wird mir davon berichten. Sorge dafür, dass Lord Kono bis zu meiner Rückkehr im Westen bleibt. Solange man deinen Feuerwaffen nichts entgegensetzen kann, wird man dich nicht zur Schlacht herausfordern. Aber sobald sie die Waffen haben â sie haben gröÃere Vorräte, Eisenerz und Schmiede und mehr Männer als wir. Der Wind kommt von Westen. Wenn wir sofort aufbrechen, können wir die Flut ausnutzen.« Er rief seine Männer, die auch aufstanden, sich die letzten Bissen in den Mund stopften, die Becher mit Wein leerten und sich schweren Herzens von den Mägden verabschiedeten. Takeo nannte Fumio den Namen des Schiffes.
Fumio verschwand so schnell, dass kaum Zeit zum Abschiednehmen blieb.
Takeo blieb mit Ishida zurück. »Fumio ist immer noch der Alte«, sagte er, da ihn das prompte Handeln seines Freundes amüsierte.
»Er bleibt immer der Alte«, erwiderte Ishida. »Er ist wie ein Wirbelwind, steht nie still.« Der Arzt schenkte Wein nach und trank einen tiefen Schluck. »Er ist ein unterhaltsamer, wenn auch anstrengender Reisegefährte.«
Sie sprachen über die Reise, und Takeo erzählte Neues von seiner Familie, was Ishida stets brennend interessierte, da er seit fünfzehn Jahren mit Muto Shizuka verheiratet war.
»Haben Sie gröÃere Schmerzen?«, fragte der Doktor. »Man sieht es Ihrem Gesicht an.«
»Ja, bei diesem feuchten Wetter sind sie schlimmer. Manchmal habe ich das Gefühl, als rumorte noch ein Rest Gift. Oft scheint die Wunde unter der Narbe entzündet zu sein. Dann habe ich am ganzen Körper Schmerzen.«
»Ich werde einen Blick darauf werfen, wenn wir allein sind«, sagte Ishida.
»Können Sie jetzt mit mir kommen?«
»Ich habe einen recht groÃen Vorrat an Wurzeln aus Shin und ein neues Schlafmittel, das aus Mohn hergestellt wird. Zum Glück habe ich doch alles mitgenommen«, sagte Ishida und hielt ein Stoffbündel und eine kleine Holzkiste hoch. »Eigentlich wollte ich beides auf dem Schiff lassen. Dann wäre es schon auf halbem Weg nach Akashi und würde Ihnen wenig nutzen.«
Ishida klang plötzlich bedrückt. Takeo glaubte, er würde noch mehr erzählen, aber nach kurzem, unangenehmem Schweigen schien der Doktor sich wieder gefasst zu haben. Er sammelte seine Sachen zusammen und sagte fröhlich: »Später muss ich noch nach dem Kirin schauen. Heute Nacht schlafe ich in Daifukuji. Das Kirin ist an mich gewöhnt, ja es mag mich sogar. Ich möchte nicht, dass es sich aufregt.«
Takeo war sich schon länger eines Misstons bewusstgewesen, der aus dem Esslokal drang: Ein Mann sprach in der Zunge der Fremden und eine Frau übersetzte. Die Stimme der Frau machte ihn neugierig, denn ihr Akzent klang östlich, obwohl sie den lokalen Dialekt sprach, und irgendetwas an ihrer Aussprache kam ihm vertraut vor.
Als sie durch den Innenraum gingen, sah er, dass es sich bei dem Fremden um den Mann namens Don João handelte. Er war sich sicher, die Frau nie gesehen zu haben, die neben dem Fremden kniete, und doch war da etwas â¦
Während er noch überlegte, wer sie sein könnte, erblickte der Mann Ishida und rief diesem etwas zu. Ishida war bei den Fremden sehr beliebt und verbrachte viele Stunden in ihrer Gesellschaft, tauschte medizinische Kenntnisse aus, Informationen über Behandlungsmethoden und Kräuter und verglich Sitten und Sprache.
Don João war Takeo mehrmals begegnet, allerdings immer nur bei offiziellen Anlässen, und nun schien er ihn nicht zu erkennen. Der Fremde war erfreut, den Arzt zu sehen, und bat ihn, sich zu setzen und zu plaudern, doch Ishida schützte vor, einen Patienten aufsuchen zu müssen. Die Frau, um die fünfundzwanzig Jahre alt, warf einen Blick auf Takeo, ohne ihr Gesicht zu zeigen. Sie übersetzte die Worte Ishidas â offensichtlich beherrschte sie die Sprache der Fremden recht flüssig â und schaute dann wieder zu Takeo. Sie schien ihn genau zu mustern, als glaubte sie, ihn zu kennen, so wie er glaubte, sie zu kennen.
Sie hob eine Hand vor den Mund. Ihr Ãrmel rutschtehinunter und
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