Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
Vom Netzwerk:
den Schweiß des Pferdes, an dessen Hals sie ihre Wange drückte, das Gewicht der Hand des Mannes, der sie festhielt, eine Hand, die ihr größer und schwerer vorkam als ihr ganzer Körper.
    Alles roch nach Rauch und Schlamm und sie wusste, dass sie für immer beschmutzt war. Zu Beginn des Chaos aus Feuer und Pferden und Schwertern hatte sie nach ihrem Vater und nach Tomasu geschrien, genau wie früher im Jahr, als sie in den Hochwasser führenden Fluss gefallen war und zwischen den glitschigen Steinen festgesteckt hatte. Damals hatte Tomasu sie auf dem Feld gehört und war ihr zu Hilfe geeilt, hatte sie zugleich gescholten und getröstet.
    Doch bei dem Überfall hatte Tomasu sie nicht gehört und auch ihr Vater nicht, der schon tot gewesen war. Niemand hatte sie gehört und niemand war ihr jemals wieder zu Hilfe gekommen.
    Viele Kinder, nicht nur die der Verborgenen, hatten damals Ähnliches erleiden müssen, als Iida Sadamu in seinem Schloss mit den schwarzen Mauern in Inuyama geherrscht hatte. Und nachdem Inuyama Arai zugefallen war, war es auch nicht besser geworden. Manche Kinder überlebten und eines von ihnen war Madaren. Sie war eine der vielen jungen Frauen, die der Kriegerklasse dienten, Mägde oder Küchenhilfen wurden oder in den Freudenhäusern arbeiteten. Sie hatten keine Familie und daher keinen Schutz. Madaren arbeitete für die Frau, die sie gekauft hatte, verrichtete die niedersten Dienste, war diejenige, die vor dem ersten Hahnenschrei aufstand und erst zu Bett gehen durfte, wenn die letzten Kunden nach Hause gegangen waren. Sie glaubte schon, Erschöpfung und Hunger hätten sie allem gegenüber abgestumpft, doch als sie zur Frau heranreifte und, wie üblich bei jungen Mädchen, für kurze Zeit begehrenswert wurde, begriff sie, dass sie die ganzen Jahre den älteren Mädchen zugeschaut und zugehört und so von ihnen gelernt hatte. Auf diese Art war sie weise geworden, was deren liebstes – und im Grunde einziges – Gesprächsthema betraf: die Männer, von denen sie besucht wurden.
    Das Freudenhaus war eines der schäbigsten in ganz Inuyama. Es lag weit weg von der Burg in einer der schmalen Gassen, die die Hauptstraßen miteinanderverbanden und in denen kleine, nach dem Brand neu erbaute Häuser aneinanderklebten wie die Waben eines Wespennestes. Doch alle Männer haben ihre Begierden, selbst Träger, Arbeiter und jene, die des Nachts die Straßen vom Kot säuberten, und wie in jeder anderen Schicht gibt es unter ihnen viele, die sich aus Liebe zum Narren machen. Das begriff Madaren. Zugleich begriff sie, dass Frauen, die sich von der Liebe beherrschen ließen, die schwächsten Wesen in der Stadt waren, unfreier noch als Hunde, genauso leicht loszuwerden wie ungewollte Kätzchen, und dieses Wissen setzte sie geschickt ein. Sie ging mit Männern, die von den anderen Mädchen gemieden wurden, und nutzte deren Dankbarkeit aus. Sie brachte sie dazu, ihr Geschenke zu machen, und bestahl sie manchmal. Schließlich gestattete sie einem bankrotten Kaufmann, sie nach Hofu mitzunehmen, verließ das Freudenhaus noch vor der Morgendämmerung und traf sich mit ihm am nebligen Kai. Sie bestiegen ein Schiff, das Zedernholz aus den Wäldern des Ostens geladen hatte. Der Geruch erinnerte sie an Mino, ihren Geburtsort, und plötzlich musste sie an ihre Familie und den seltsamen, halb verwilderten Jungen denken, der ihr Bruder gewesen war und ihre Mutter zugleich zur Weißglut getrieben und bezaubert hatte. Tränen traten ihr in die Augen, als sie sich unter den Holzplanken zusammenkauerte, und als ihr Liebhaber sich zu ihr umdrehte und sie in den Arm nehmen wollte, stieß sie ihn fort. Er ließ sich leicht einschüchtern und hatte in Hofu nicht mehr Erfolg als in Inuyama. Er langweilte sie und machte sie wütend, und schließlich kehrte sie wieder inein Freudenhaus zurück, allerdings in eines, das ein wenig besser war als ihr erstes.
    Dann kamen die Fremden mit ihren Bärten, ihrem komischen Geruch, ihrer riesigen Statur – und anderen riesigen Körperteilen. Madaren erkannte, dass sie eine gewisse Macht besaßen, die man ausbeuten konnte, und erklärte sich freiwillig bereit, mit ihnen zu schlafen. Sie suchte sich den Mann namens Don João aus, obwohl er natürlich glaubte, sie ausgesucht zu haben. Wenn es um die Bedürfnisse des Körpers ging, waren die Fremden

Weitere Kostenlose Bücher