Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
sowohl sentimental als auch schamhaft. Sie wollten etwas Besonderes für eine Frau sein, selbst dann, wenn sie diese kauften. Sie bezahlten gut in Silber. Madaren konnte dem Eigentümer des Freudenhauses erklären, dass Don João nur sie wolle, und musste schon bald mit niemand anderem mehr schlafen.
Anfangs sprachen sie nur die Sprache des Körpers â seiner Lust, ihrer Fähigkeit, diese zu befriedigen. Die Fremden hatten einen Dolmetscher, einen Fischer, den sie nach einem Schiffbruch gerettet und zu ihrer Basis auf den Südlichen Inseln mitgenommen hatten. Sie selbst kamen von weit aus dem Westen: Man konnte ein Jahr mit Rückenwind segeln, ohne ihre Heimat zu erreichen. Der Fischer hatte ihre Sprache gelernt. Manchmal begleitete er sie in das Freudenhaus. Seine Sprache verriet, dass er niederer Herkunft und völlig ungebildet war, doch seine Verbindung mit den Fremden verlieh ihm Rang und Macht. Sie verlieÃen sich blind auf ihn. Er war ihr Tor zu der komplexen neuen Welt, die sie entdeckt hatten und durch die sie zu Ruhm und Reichtum zu gelangen hofften, und sie glaubten ihm jedes Wort, selbst wenn er schwindelte.
Ich könnte eine ähnliche Macht haben, denn er ist nicht besser als ich , dachte Madaren, und von da an bemühte sie sich, Don João zu verstehen, und ermunterte ihn, sie in seiner Sprache zu unterrichten. Diese hatte einen harten Klang, viele schwierige Laute und alles hatte ein Geschlecht. Warum, blieb ihr ein Rätsel, doch in seiner Sprache waren Tür und Regen weiblich, Sonne und FuÃboden hingegen männlich. Doch es faszinierte sie, und wenn sie in der neuen Sprache mit Don João redete, hatte sie das Gefühl, sich in jemand anderen zu verwandeln.
Sobald sie flüssiger sprach â Don João lernte nie mehr als ein paar Wörter ihrer Sprache â, unterhielten sie sich über tiefer gehende Dinge. Er hatte in Porutogaru Frau und Kinder, um die er weinte, wenn er betrunken war. Madaren nahm seine Familie nicht ernst, denn vermutlich sähe er sie nie wieder. Sie war so weit entrückt, dass Madaren sich kein Bild von ihrem Leben machen konnte. Und er erzählte von seinem Glauben und seinem Gott â Deus â, und seine Worte und das Kreuz, das er um den Hals trug, weckten in ihr Kindheitserinnerungen an den Glauben ihrer Familie und die Rituale der Verborgenen.
Er war ganz wild darauf, von seinem Deus zu erzählen, und berichtete ihr von Priestern seiner Religion, die unbedingt andere Völker zu ihrem Glauben bekehren wollten. Das überraschte Madaren. Sie wusste kaum noch etwas über die Glaubenssätze der Verborgenen, erinnerte sich aber an die Notwendigkeit strikter Geheimhaltung und â nur als schwaches Echo â an die Gebete und Rituale, die ihre Familie im Kreis des kleinen Dorfes ausgeführt hatte. Der neue Lord der Drei Länder, Otori Takeo, hatte bestimmt, dass die Menschen offen ihrem Gott huldigen und glauben durften, was sie wollten, und die alten Vorurteile schwanden langsam. Es gab sogar viele, die sich für die Religion der Fremden interessierten und bereit waren, sie auszuprobieren, wenn dies mehr Handel und Reichtum für alle bedeutete. Gerüchte besagten, Lord Otori selbst habe einst den Verborgenen angehört und auch die einstige Herrscherin der Domäne Maruyama, Maruyama Naomi, habe ihren Glauben geteilt, doch Madaren hatte Zweifel daran â denn hatte Lord Otori nicht aus Rache seine GroÃonkel getötet? Hatte sich Lady Maruyama nicht in Inuyama gemeinsam mit ihrer Tochter in den Fluss gestürzt? Wenn es eines gab, das allgemein über die Verborgenen bekannt war, dann das Verbot ihres Geheimen Gottes, zu töten, weder sich selbst noch jemand anderen.
In diesem Punkt schienen sich der Geheime Gott und Deus zu unterscheiden, denn wie ihr Don João erzählte, waren seine Landsleute sowohl Gläubige als auch groÃe Krieger â wenn sie ihn richtig verstand, denn manchmal verstand sie zwar jedes Wort, erfasste aber nicht den ganzen Sinn. War es beides oder keines , immer oder niemals , schon oder noch nicht ? Er war immer mit einem langen, dünnen Schwert bewaffnet, dessen geschwungener Griff mit Intarsien aus Gold und Perlmutt verziert war, und prahlte damit, häufig Anlass dazu gehabt zu haben, sein Schwert zu benutzen. Es überraschte ihn, dass die Folter in den Drei Ländern verboten war, und er erzählte ihr, dass man
Weitere Kostenlose Bücher