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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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Länder niederzulassen, um dort zu arbeiten und zu lehren. Terada selbst lag nicht viel an den Schätzen, die er in den Jahren als Pirat zusammengeraubt hatte – sein Groll gegen den Otoriclan war damals die Triebfeder gewesen und der Sturz von Shigerus Onkeln sein größter Wunsch. Nach der Schlacht um Hagi und dem Erdbeben hatte er sein altes Haus auf Drängen seines Sohnes und seiner Schwiegertochter, Eriko, einer jungen Nichte aus der Endofamilie, wieder aufgebaut. Eriko liebte das Malen, Gärten und schöne Dinge. Sie schrieb Gedichte mit einer hervorragenden Pinselführung und hatte auf der anderen Seite der Bucht, gegenüber des Schlosses, eine bezaubernde und glanzvolle Residenz geschaffen. Die Nähe des Vulkankraters ermöglichte es ihr, sowohl die exotischen Pflanzen zu kultivieren, die Fumio von seinen Seereisen mitbrachte, als auch die Heilkräuter, mit denen Ishida gern experimentierte. Durch ihre künstlerische Veranlagung und ihre Sensibilität war sie eine Lieblingsfreundin Takeos und Kaedes geworden, und ihre älteste Tochter stand Shigeko besonders nahe, zumal beide Mädchen im gleichen Jahr geboren worden waren.
    Ãœber den Bächen im Garten hatte man kleine Pavillons errichtet und überall hörte man das Rauschen des Wassers. Die Teiche quollen über von malven- und cremefarbenen Lotosblumen und wurden von exotischen Bäumen beschirmt, die von den Südlichen Inseln stammten und wie Fächer aussahen. Die Luft war gesättigt mit dem Duft von Anis und Ingwer. Alle Gäste trugen leichte Sommergewänder in leuchtenden Farben, als wollten sie mit den Schmetterlingen wetteifern, die zwischen den Blumen flatterten. Ein später Kuckuck rief im Wald und die Zikaden zirpten unermüdlich.
    Eriko hatte ein altes Spiel wieder belebt, bei dem die Gäste Gedichte verfassten, diese vorlasen und dann auf kleinen Holztabletts zum nächsten Pavillon treiben ließen, damit die anderen Gäste sie lesen konnten. Kaede war eine Meisterin in dieser Art von Dichtung, denn ihr Verstand arbeitete schnell und sie war bestens mit den klassischen Metaphern vertraut, doch Eriko war ihr fast ebenbürtig. Sie versuchten einander im freundlichen Wettstreit zu übertreffen.
    Auch Wein ließ man auf den träge fließenden Bächen treiben, und ab und zu streckte einer der Gäste eine Hand danach aus und reichte seinem Begleiter einen Becher voll. Der Rhythmus der Worte und das Lachen vermischten sich mit den Geräuschen von Wasser, Insekten und Vögeln, so dass Takeo einen seltenen Moment unbeschwerter Freude genießen konnte, in dem seine Sorgen verflogen und seine Trauer erträglicher wurde.
    Er beobachtete Hiroshi, der mit Shigeko und Erikos Tochter, Kaori, im nächsten Pavillon saß. Auch Kaori war im heiratsfähigen Alter – vielleicht wäre sie eine gute Partie für ihn. Er würde später mit Kaede darüber reden. Kaori glich ihrem Vater, war rundlich, kerngesund und fröhlich. Gerade lachte sie mit Shigeko über Hiroshis Verseschmiederei.
    Doch durch das Gelächter und all die anderen Geräusche dieses friedlichen Nachmittags hörte er noch etwas anderes: einen leisen, klatschenden Flügelschlag. Er sah zum Himmel auf und entdeckte weit im Südosten einen kleinen Schwarm von Punkten. Als er näher kam, begriff Takeo, dass es weiße Brieftauben waren, die zur Teradaresidenz heimkehrten, in der sie aufgezogen worden waren.
    Natürlich trafen ständig Tauben ein, da sie sich an Bord eines jeden Schiffes von Terada befanden, aber die Richtung, aus der dieser Schwarm kam, beunruhigte Takeo, denn im Südosten lag die freie Stadt Akashi …
    Die Tauben flogen über ihn hinweg zu ihrem Schlag. Alle sahen zu ihnen auf. Dann wurde die Feier mit der scheinbar gleichen Unbeschwertheit fortgesetzt, doch Takeo war sich auf einmal der Hitze des Nachmittags bewusst, des Schweißes in seinen Achselhöhlen, des Schrillens der Zikaden.
    Ein Diener kam aus dem Haus, kniete sich hinter Lord Terada und flüsterte ihm etwas zu. Terada warf Takeo einen Blick zu und gab ihm einen unmerklichenWink mit dem Kopf. Beide erhoben sich gleichzeitig, entschuldigten sich kurz bei den anderen Gästen und folgten dem Diener ins Haus. Sobald sie auf der Veranda waren, sagte Terada: »Nachrichten von meinem Sohn.« Er nahm vom Diener ein zusammengefaltetes Stück Papier entgegen, das aus Seide bestand und

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