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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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beschäftigt.
    Die Zwillinge durften nicht allein nach draußen, nur zu besonderen Gelegenheiten und dann in Begleitung, doch sie beherrschten die Tricks des Stammes inzwischen meisterhaft, und obwohl es ihnen verboten war, probierten sie sie aus, weil sie sich langweilten und sich vernachlässigt fühlten.
    Â»Was soll das ganze Training, wenn wir unsere Fähigkeiten nie benutzen?«, brummelte Maya, und Miki stimmte ihr zu.
    Miki konnte das zweite Ich lange genug einsetzen, um den Eindruck zu erwecken, Maya wäre mit im Zimmer, und diese machte sich unsichtbar, schlich sich an Sunaomi und Chikara an und erschreckte die beiden, indem sie ihnen wie ein Geist auf Nacken oder Rücken pustete oder sie unvermittelt am Haar berührte. Die Mädchen hielten sich an das Verbot, sich draußen herumzutreiben, doch es reizte sie, die geschäftige, faszinierende Stadt zu erkunden, den Wald am anderen Flussufer, die Gegend rund um den Vulkan, den bewaldeten Hügel oberhalb des Schlosses.
    Â»Da oben gibt es Kobolde«, erzählte Maya Sunaomi, »mit langen Nasen und Stielaugen!«
    Sie zeigte zum Hügel mit seiner undurchdringlichen Masse dunkler Bäume. Über ihnen wirbelten zwei Drachen. Es war ein später Nachmittag am dritten Tag des Festes und die vier Kinder hielten sich im Garten auf.Der Tag war drückend gewesen und selbst im Garten unter den Bäumen war es unerträglich heiß.
    Â»Ich fürchte mich nicht vor Kobolden«, erwiderte Sunaomi. »Ich fürchte mich vor gar nichts!«
    Â»Diese Kobolde fressen kleine Jungen«, flüsterte Miki. »Sie fressen sie roh, Stück für Stück!«
    Â»Wie Tiger?«, stichelte Sunaomi, was Maya noch mehr ärgerte. Sie hatte nicht vergessen, was er zu ihrem Vater gesagt hatte, um unbewusst seine Überlegenheit zu zeigen: Es sind ja nur Mädchen. Das würde sie ihm heimzahlen. Sie spürte, wie sich die Katze in ihr regte, und spreizte die Finger.
    Â»Hier können sie uns nichts anhaben«, sagte Chikara nervös. »Hier gibt es zu viele Wachtposten.«
    Â»Oh, ja, wenn man von Wachtposten umgeben ist, ist es leicht, tapfer zu sein«, sagte Maya zu Sunaomi. »Wenn du wirklich tapfer wärst, würdest du dich allein nach draußen trauen!«
    Â»Das ist mir verboten«, antwortete er.
    Â»Du hast ja nur Angst!«
    Â»Nein, habe ich nicht!«
    Â»Dann geh nach draußen. Ich habe keine Angst davor. Ich war in Akanes Haus, obwohl es von ihrem Geist heimgesucht wird. Ich habe sie gesehen.«
    Â»Akane hasst Jungen«, flüsterte Miki. »Sie begräbt sie lebendig in ihrem Garten, damit ihre Büsche gut wachsen und süß duften.«
    Â»Sunaomi traut sich doch niemals, dorthin zu gehen«, sagte Maya und lächelte schief, wobei sie ihre kleinen weißen Zähne entblößte.
    Â»In Kumamoto bin ich abends losgeschickt worden, um eine Lampe vom Friedhof zu holen«, sagte Sunaomi. »Ich habe keinen einzigen Geist gesehen!«
    Â»Dann geh zu Akanes Haus und bring einen Blütenzweig mit.«
    Â»Das wäre kinderleicht«, sagte Sunaomi verächtlich. »Aber ich darf ja nicht – euer Vater hat es mir verboten.«
    Â»Du hast einfach Angst«, sagte Maya.
    Â»Ungesehen nach draußen zu gelangen ist nicht leicht.«
    Â»Doch, es ist leicht, wenn man keine Angst hat. Du suchst nur nach Ausreden.« Maya stand auf und ging zur Mauer an der Seeseite. »Bei Ebbe kletterst du hier runter und gehst über die Felsen zum Strand.« Sunaomi war ihr gefolgt und sie zeigte auf das Kieferngehölz mit Akanes unbewohntem, einsamem Haus. Man hatte es bereits halb abgerissen, um den neuen Schrein bauen zu können, und da es im Augenblick weder ein Wohnhaus noch ein Tempel war, wirkte es tatsächlich wie die Zwischenwelt, in der sich die Geister aufhielten. Die Flut war halb aufgelaufen, die teilweise aus dem Wasser ragenden Felsen waren zerklüftet und glitschig. »Heute Nacht könntest du hingehen.« Sie wandte sich um und sah Sunaomi in die Augen, bis er sie zu verdrehen begann.
    Â»Maya!«, rief Miki warnend.
    Â»Oh, verzeih mir, Cousin! Wie dumm von mir. Ich darf ja niemanden anschauen. Das habe ich Vater versprochen.« Sie gab Sunaomi einen Klaps auf die Wange, um ihn zu wecken, und ging zu Chikara zurück.
    Â»Wenn du mir in die Augen schaust, schläfst du ein und wachst nie wieder auf!«
    Sunaomi eilte seinem Bruder zu

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