Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
um die Stadt nach dem Erdbeben neu aufzubauen, und inzwischen als Holzbildhauer tätig war.
Takeo begrüÃte ihn freudig und Taro erwiderte den Gruà unnötig förmlich, denn ihre gemeinsame Geschichte hatte sie zu Freunden werden lassen und Takeo hegte eine tiefe Bewunderung für das Geschick des Mannes, das in den Drei Ländern nicht seinesgleichen fand.
»Ich habe seit längerem den Plan, eine Statue der groÃen Gnädigen zu schnitzen«, sagte Taro, wobei er seine Hände anschaute, als wünschte er, sie könnten für ihn sprechen. »Lady Otori hat einen Vorschlag.«
»Du kennst doch das Haus am Strand«, sagte Kaede. »Seit Akanes Tod vor ein paar Jahren steht es leer. Die Leute behaupten, es werde von ihrem Geist heimgesucht, weil sie Zaubersprüche benutzt hat, um Lord Shigeru an sich zu binden, und am Ende selbst in die Falle ihrer schwarzen Magie getappt ist. Seeleute erzählen, dass sie auf den Felsen Lichter entzündet, um Schiffe in die Irre zu führen, weil sie alle Männer hasst. Lass uns das Haus abreiÃen und den Garten neu weihen. Taro und sein Bruder werden dort im Anschluss einen neuen Schrein für Kannon errichten, und die Statue, die er von ihr schnitzt, wird Ufer und Bucht segnen.«
»Chiyo hat mir Akanes Geschichte erzählt, als ich ein Junge war«, erwiderte Takeo. »Aber Shigeru hat weder von ihr noch von seiner Frau je gesprochen.«
»Vielleicht werden die Geister beider Frauen Ruhe finden«, sagte Taro. »Ich stelle mir ein kleines Gebäude vor â wir müssen die Kiefern nicht fällen, sondern bauen es zwischen den Bäumen. Ein doppeltes Dach, würde ich sagen, wie hier mit tief geschwungenen Traufen und verschwalbten Trägern, die es stützen.«
Er zeigte Takeo seine Skizzen des Gebäudes. »Das untere Dach trägt das obere, das wirkt sanft und kraftvoll. Ich hoffe sehr, dass ich der groÃen Gnädigen die gleichen Eigenschaften verleihen kann. Ich wünschte, ich könnte Ihnen eine Skizze der Statue zeigen, aber bis meine Hände sie freilegen, bleibt sie im Holz verborgen.«
»Wollen Sie sie aus einem Stück schnitzen?«, fragte Takeo.
»Ja, ich bin gerade auf der Suche nach einem passenden Stück.«
Sie erörterten die Art des Baumes, das Alter des Holzes und ähnliche Fragen. Dann ging Taro.
»Das ist ein schönes Vorhaben«, sagte Takeo zu Kaede, als sie allein waren. »Ich finde es wunderbar.«
»Ich glaube, ich habe einen ganz besonderen Grund dafür, der Göttin dankbar zu sein«, sagte sie leise. »Diese morgendliche Ãbelkeit, die so schnell verflogen ist â¦Â«
Er begriff, was sie meinte, und ihn überkam die vertraute Mischung aus Freude und Erschrecken darüber, dass ihre tiefe Liebe füreinander ein weiteres Leben geschaffen hatte, ein weiteres Geschöpf den Kreislauf von Geburt und Tod antreten lieÃ. Das Erschrecken hatte mit dem Tod zu tun, denn zweimal hätte Kaede die Geburt seiner Kinder fast das Leben gekostet, und alle seine früheren Ãngste erwachten.
»Meine liebste Frau«, murmelte er, und da sie allein miteinander waren, umarmte er sie.
»Es ist mir fast peinlich«, sagte sie und lachte kurz auf. »Im Grunde bin ich zu alt, um schwanger zu werden! Shigeko ist schon eine Frau. Aber gleichzeitig bin ich so glücklich. Ich hatte geglaubt, nie mehr empfangen und uns keinen Sohn mehr gebären zu können.«
»Ich habe dir oft gesagt, dass ich mit unseren Töchtern mehr als zufrieden bin«, sagte er. »Und wenn es noch ein Mädchen wird, würde ich mich sehr freuen.«
»Ich will es gar nicht aussprechen«, flüsterte Kaede. »Aber ich bin mir ganz sicher, diesmal ist es ein Junge.«
Er drückte sie an sich und staunte über das Wunder des neuen Lebens, das in ihr heranwuchs, und so blieben sie eine Weile sitzen und genossen die Nähe des jeweils anderen. SchlieÃlich wurden sie von Stimmen im Gartenund den Schritten der Dienerinnen auf den Verandadielen wieder in den Alltag zurückgeholt.
»Ist das Kirin wohlbehalten angekommen?«, fragte Kaede, denn Takeo hatte ihr bereits verraten, worin die Ãberraschung bestand.
»Ja, und sein Erscheinen hat alle meine Erwartungen erfüllt. Shigeko hat sich sofort in das Tier verliebt. Alle Zuschauer sind vor Staunen verstummt.«
»Die Otori zum Verstummen zu bringen, ist schon
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