Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
eine Leistung!«, erwiderte Kaede. »Aber ich nehme an, dass sie ihre Stummheit überwunden haben und bereits Lieder über das Kirin dichten. Ich werde es mir später anschauen.«
»Geh nicht, solange es noch so heià ist«, sagte Takeo. »Du darfst dich nicht überanstrengen. Ishida soll sofort kommen und dich untersuchen, und du musst alles tun, was er dir sagt.«
»Dann ist Ishida also auch wohlbehalten eingetroffen. Das freut mich. Und der kleine Chikara?«
»Er war ziemlich seekrank â er schämt sich dafür. Doch er war sehr froh, seinen Bruder wiederzusehen.« Takeo schwieg kurz, dann sagte er: »Wir werden die Frage der Adoption bis zur Geburt unseres Kindes vertagen. Ich möchte weder Erwartungen wecken, die später nicht erfüllt werden können, noch Probleme für die Zukunft schaffen.«
»Das ist klug«, pflichtete Kaede bei. »Ich befürchte allerdings, Zenko und Hana werden enttäuscht sein.«
»Es ist ja nur ein Aufschub, keine endgültige Ablehnung«, erläuterte Takeo.
»Du bist weise und vorsichtig geworden, mein Gatte«, sagte sie lachend.
»Und das ist gut so«, erwiderte er. »Ich hoffe, dass ich die Ãberstürztheit und Unbedachtheit meiner früheren Jahre in den Griff bekommen habe.« Er erwog, was er als Nächstes erzählen sollte, und sagte, nachdem er einen Beschluss gefasst hatte: »Es sind noch zwei andere Passagiere aus Hofu gekommen. Zwei der Fremden. Sie werden von einer Frau begleitet, die für sie dolmetscht.«
»Warum, glaubst du, sind sie gekommen?«
»Um ihren Handel auszuweiten, nehme ich an. Um ein wenig mehr von einem Land zu sehen, das ein völliges Geheimnis für sie ist. Ich hatte noch keine Gelegenheit, mit Ishida zu reden. Vielleicht weià er mehr. Wir müssen unbedingt ihre Sprache verstehen. Ich hatte gehofft, du könntest sie mit Hilfe der Frau lernen, die sie begleitet, aber ich will dich in deinem Zustand auf keinen Fall überfordern.«
»Eine Sprache zu studieren und zu lernen, ist eines der Dinge, die mir sehr viel Spaà machen«, sagte Kaede. »In einer Zeit, in der ich mich in anderer Hinsicht einschränken muss, ist es doch die ideale Beschäftigung. Ich werde es auf jeden Fall tun. Aber wer ist die Frau, die die Männer begleitet? Ich finde es interessant, dass sie die Sprache der Fremden gelernt hat.«
Takeo sagte nüchtern: »Ich will dich nicht erschrecken, aber ich muss es dir erzählen. Sie stammt aus dem Osten und hat eine Weile in Inuyama gelebt. Sie wurde im gleichen Dorf geboren wie ich und auch von der gleichen Mutter. Sie ist meine Schwester.«
»Deine Schwester, die du für tot gehalten hast?«, fragte Kaede erstaunt.
»Ja, das jüngere Mädchen, Madaren.«
Kaede runzelte die Stirn. »Was für ein seltsamer Name.«
»Unter den Verborgenen ist er sehr geläufig. Nach dem Massaker hat sie einen anderen Namen angenommen, glaube ich. Sie wurde von den Soldaten, die meine Mutter und meine Schwester getötet hatten, an ein Bordell verkauft. Sie ist dann nach Hofu geflohen und hat dort in einem anderen Bordell gearbeitet, in dem sie dem Fremden namens Don João begegnet ist. Sie spricht seine Sprache flieÃend.«
»Woher weiÃt du all das?«
»Wir sind uns zufällig in einer Schänke in Hofu über den Weg gelaufen. Ich war verkleidet, um mich mit Terada Fumio zu treffen, denn ich hoffte, er könnte die geschmuggelten Waffen abfangen. Vergeblich, wie wir ja inzwischen wissen. Sie und ich haben einander erkannt.«
»Aber das muss doch Jahre â¦Â« Kaede starrte ihn an, zum Teil voller Mitgefühl, zum Teil voller Unglauben.
»Sie ist es, da bin ich mir ganz sicher. Wir haben uns danach noch einmal kurz getroffen und da war ich endgültig überzeugt. Ich habe Nachforschungen anstellen lassen und dadurch etwas über ihr Leben erfahren. Ich habe ihr gesagt, ich würde für sie sorgen, wolle sie aber nicht wiedersehen. Die Kluft zwischen uns ist zu groà geworden. Doch nun ist sie hierhergekommen ⦠Dasssie sich von den Fremden angezogen fühlt, ist nachvollziehbar, weil deren Religion im Kern dem Glauben der Verborgenen entspricht. Ich werde sie nicht als Verwandte anerkennen, aber natürlich könnte es Gerüchte geben, und daher wollte ich, dass du von mir die Wahrheit erfährst.«
»Wahrscheinlich ist
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