Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
zugleich musste er es Eijiros beiden ältesten Söhnen ermöglichen, nach Kumamoto und Marayuma zu reiten und ein Treffen mit Vertretern der Araifamilie und der Maruyama vorzubereiten.
Kumamoto lag im fernen Südwesten der Drei Länder, sieben bis zehn schnelle Tagesritte entfernt. Maruyama war etwa sieben Tagesreisen westlich von Yamagata. Als Shigeru und sein Gefolge aus berittenen Kriegern, Dienern, FuÃsoldaten und Packpferden sowie Sänften für seine Frau und deren Bedienstete, Bannern und Sonnenschirmen sich auf ihrem Weg durch die herbstliche Landschaft schlängelten, durch goldene Reisfelder und an strahlend roten Lilien vorbei, waren seine Gedanken meilenweit entfernt bei diesen reitenden Boten, die er weiterdrängte, während er für ein fruchtbares Ergebnisseiner schnellen Pläne betete. Die Boten hatte er unter seinen eigenen Männern ausgesucht. Einer von ihnen war Harada, der im vergangenen Jahr mit einem ähnlichen Auftrag ausgeritten war und Verstärkung aus Yamagata und Kushimoto an die Grenze gebracht hatte. Harada hatte der Tod Tomasus tief berührt, des Mannes, den er auf seinem Rücken über die Ebene von Yaegahara getragen hatte. Er war ein unversöhnlicher Gegner der Tohan und auf der Hut vor jeder Schwäche bei den Otori, die zur Versöhnung führen könnte. Shigeru hatte Harada den Brief an Eijiro anvertraut und ihm aufgetragen, mit dessen beiden Söhnen weiterzureisen. Er erinnerte sich daran, wie er vor mehr als zwei Jahren auf der gleichen StraÃe geritten war, um nach Terayama zu kommen und von Matsuda unterrichtet zu werden. Erstaunt schaute er auf sein fünfzehnjähriges Ich zurück. Was für ein Kind er gewesen war! Deutlich erkannte er, wie sehr er seit damals gewachsen war und welche Veränderungen Matsudas Unterricht, Iries ständige Unterstützung und seine Lebensumstände in ihm bewirkt hatten.
Zurück in Hagi hatte er eifrig das erwünschte Treffen mit den Clans des Westens arrangiert. Aber er hatte sein wahres Motiv geheim gehalten, nur Irie und Kiyoshige hatte er davon erzählt. Er hatte seinen Vater um Erlaubnis gebeten, seine Frau nach Kushimoto und Takeshi nach Terayama zu bringen, doch das war nur eine Formalität gewesen. Mehr als ein Jahr lang hatte er jetzt seine eigenen Entscheidungen getroffen, und die Stärke seiner Persönlichkeit und seines Charakters hatte so zugenommen, dass sein Vater ihm bei fast jeder Frage zustimmte. Shigeru gab jetzt noch nicht einmal vor, den Rat seiner Onkel zu suchen. Gelegentlich, wenn ihre Proteste und Beschwerden ihn ärgerten, hätte er ihnen gern geraten, das Schloss zu verlassen und auf fernen Landgütern im Exil zu leben, doch im GroÃen und Ganzen zog er es vor, sie in Hagi zu halten, wo er ihre Aktivitäten beobachten konnte.
Er entdeckte an sich eine Fähigkeit zur Heuchelei. ÃuÃerlich wirkte er umgänglich, verbindlich und entspannt. Doch unter dieser Maske lag eine andere Persönlichkeit, wachsam und unermüdlich. Jetzt zeigte das strenge Training in Terayama Resultate. Er brauchte sehr wenig Schlaf, überstand endlose Besprechungen ebenso wie Grenzscharmützel. Er gewöhnte sich daran, schnell Entscheidungen zu treffen, sie nicht zu bereuen und sie sofort in die Tat umzusetzen. Seine Entscheidungen erwiesen sich immer als richtig, dadurch gewann er das Vertrauen von Kriegern, Händlern und Bauern. Jetzt hatte er eine neue Idee, die er verwirklichen würde: ein Bündnis, das den Drei Ländern Frieden bringen und die Otori vor den Tohan beschützen sollte. Er war so überzeugt von der Gerechtigkeit und dem Sinn dieses Vorhabens, dass er das Gefühl hatte, es allein durch seine Willensstärke bewirken zu können.
Diese neue Fähigkeit, seine wahren Gefühle zu verbergen, half ihm, den Anschein von Harmonie mit seiner Frau auf dieser Reise zu wahren. Moe war erleichtert, den Schikanen im Schloss zu entgehen, doch sie war keine gute Reisende, machte sich nichts aus Pferden und fand das Schaukeln der Sänfte unangenehm. Sie hatteAngst vor den Gefahren der LandstraÃe â Krankheit, StraÃenräuber, schlechtes Wetter â und die kleineren Ãrgernisse wie Flöhe, stickige Räume und kaltes Wasser irritierten sie. Shigeru verbrachte möglichst wenig Zeit in ihrer Gesellschaft, behandelte sie aber mit unerschütterlicher Höflichkeit. Die Räume ihrer Unterkünfte
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