Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
oder Frauen grundlos schlachten oder einen Unbewaffneten töten. Er hatte selbst die Resultate von Mordlust und ungezügelter Grausamkeit gesehen und erkannte jetzt die Weisheit, die er von Matsuda Shingen aufgenommen hatte. Dem Krieger war das Recht zu töten verliehen worden, seine Klasse liebte die Kunst des Schwertkampfes. Aber mit dem Recht kam die Verantwortung, und aus der Liebe zum Schwert durfte nie eine Liebe zum Töten um seiner selbst willen werden. Shigeru hoffte, dass auch Takeshi das im kommenden Jahr lernte.
AuÃerhalb von Yamagata kam ihnen Nagai Tadayoshi entgegen, der Shigeru so viel von der Stadt, ihrer Umgebung und den Protokollen von beiden während seines Aufenthalts vor zwei Jahren gezeigt hatte. Nagai war ein ernster, zurückhaltender Mann, doch er konnte seine Freude über die Begegnung nicht verbergen. Shigeru war ebenso froh, ihn wiederzusehen, er spürte, dass er Nagai völlig vertrauen konnte, und er freute sich, in Yamagata zu sein, der Stadt, mit deren Bewohnern er so feste Bindungen eingegangen war.
Das alljährliche Regierungsgeschäft nahm jeden Tag viele Stunden in Anspruch. Shigeru widmete sich geduldig diesen Angelegenheiten und war entschlossen, Yamagata nicht zu verlassen, bevor er von Eijiro oder dessen Söhnen oder von Harada Nachrichten über das Ergebnis ihrer Verhandlungen erhalten hatte. Zuerst war auch Takeshi zu den Sitzungen gekommen, aber als Shigeru sah, wie sehr er sich langweilte, und fürchtete, er würde zu schnell die Konzentration und Disziplin erschöpfen, die er für seinen Aufenthalt in Terayama brauchte, erlaubte er ihm, mit Kiyoshige und den anderen Hauptleuten zu prüfen, wie fähig und kampfbereitdie Yamagatakrieger waren. Diese Aufgabe übernahm Takeshi bereitwillig.
Am Abend trafen sie sich zum Baden und Essen; danach ging Kiyoshige meistens noch einmal weg, um ein Gefühl für die Stadt zu bekommen, wie er es ausdrückte. Shigeru erlaubte Takeshi nicht mitzugehen. Er wusste, dass das Gefühl für die Stadt gewöhnlich in Freudenhäusern bei den schönen Frauen von Yamagata gesucht wurde und er fand die Information durchaus nützlich, die Kiyoshige von diesen Ausflügen mitbrachte. Nagai hatte etwas zögernd vorgeschlagen, dass Shigeru vielleicht ebenfalls schöne Frauen kennenlernen möchte, doch das hatte er abgelehnt. Es kam ihm wie eine unnötige Beleidigung seiner Frau vor, und er wollte auch Akane nicht verletzen, indem er sein Versprechen brach, sie nicht eifersüchtig zu machen. AuÃerdem hatte seine Ablehnung Nagai so gefallen, dass sie sich schon deshalb lohnte.
Als Kiyoshige an einem frühen Abend die Nachricht schickte, er sei mit einer Frau zurückgekommen, die Shigeru treffen sollte, wollte Shigeru zuerst wieder ablehnen. Die Sitzungen des Tages waren lang und anstrengend gewesen, er hatte Kopfweh und war hungrig. Er wollte mit dieser Frau nicht schlafen, so hübsch sie auch sein mochte, und deshalb schien ein Treffen sinnlos. Er schickte eine entsprechende Antwort, doch eine Stunde später, als er sein Abendessen beendet hatte und mit Nagai über die Aufgaben des nächsten Tages sprach, kam Kiyoshige herein und trank Wein mit ihnen.
»Wenn du fertig bist, Lord Shigeru, schenk mir doch ein paar Minuten deine Gesellschaft. Dieses Mädchenwird dich faszinieren, das verspreche ich. Sie ist aus Kumamoto, spielt die Laute und singt. Ich glaube, ihre Lieder werden dir gefallen.«
Kumamoto, die Heimat der Arai.
»Vielleicht komme ich kurz zu euch«, antwortete er.
»Wir sind im Todoya«, sagte Kiyoshige. »Komm jederzeit, wir werden die ganze Nacht warten!«
Nagai sah ihn missbilligend an, sagte aber nichts. Shigeru bedauerte, dass sein glänzender Ruf befleckt wurde, doch er fand es wichtiger, seine Verhandlungen mit den Seishuu geheim zu halten. Er ging nicht sofort, weil er den Ãlteren nicht kränken wollte. Sie unterhielten sich noch eine weitere Stunde, zuerst über Verwaltungsfragen und dann, nach dem dritten Krug Wein, über Nagais Leidenschaft, das Gärtnern. SchlieÃlich stand Shigeru auf und wünschte ihm gute Nacht. Er ging auf den Abort und erleichterte sich, dann rief er nach zwei Wachtposten, die ihn begleiten sollten, und ging von der Residenz durch den inneren Hof zum Wachhaus des Schlosses.
Es verdiente kaum die Bezeichnung Schloss, auch wenn die Fundamente und die Mauern des Wallgrabens aus Stein
Weitere Kostenlose Bücher