Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
»Ich brauche mehr als Sympathie. Ich will Sie nicht kränken,aber ich habe gesehen, wie die Iida im Osten operieren, wie sie die Tohan beherrschen und die Familien zerstören, die sich ihnen nicht unterordnen. Sie benutzen Kinder, besonders Töchter, als Geiseln. Verzeihen Sie mir, aber Sie sind besonders verletzlich. Sie sagen, Sie haben eine dreijährige Tochter. Ihr Mann hat enge Beziehungen zur Iidafamilie, also wird Ihre Tochter nach Inuyama geschickt werden, sobald sie alt genug ist.«
»Vielleicht. Ich muss darauf vorbereitet sein, aber im Moment hat noch nicht einmal Iida Sadamu die Macht, Geiseln von den Maruyama zu fordern. Und wenn die Otori ihn in Schach halten können, wird er sie nie haben.«
»Das Mittlere Land ist eine nützliche Verteidigung«, sagte er mit einer gewissen Bitterkeit. »Aber wenn wir fallen, werden Sie folgen.«
»Die Seishuu wissen das«, erwiderte sie. »Deshalb wird Iida unter uns keine Verbündeten finden.«
»Wir können nicht an zwei Fronten kämpfen«, sagte er. »Aber ich sollte Yamagata auch im Süden und Westen nicht ungeschützt lassen.«
»Sie haben mein Versprechen, dass wir weder angreifen noch irgendwelches Eindringen der Tohan zulassen werden.«
Voller Zweifel starrte er sie an. Wie konnte sie solche Versicherungen abgeben? Selbst Arai Daiichi, ein Mann, ein ältester Sohn, hatte ihm das nicht versprechen können. Sie kam vielleicht mit Iidas Wissen als eine Art Lockvogel, der ihn in falscher Sicherheit wiegen sollte. Â
»Sie können mir vertrauen«, sagte sie leise. »Ich schwöre es.«
Das hatte auch Muto Shizuka ihm geschworen â vor Zeugen. Hier hörten nur die Spatzen zu.
»Vertrauen Sie niemandem?«, fragte sie, als er lange geschwiegen hatte.
»Ich vertraue Matsuda Shingen«, sagte er.
»Dann werde ich es vor ihm schwören.«
»Ich glaube Ihnen Ihre Absicht«, sagte Shigeru. »Was ich bezweifle, ist Ihre Fähigkeit, sie zu verwirklichen.«
»Weil ich eine Frau bin?«
Er sah den Zorn kurz in ihren Augen aufblitzen und spürte unklar, wie enttäuscht er von sich war, weil er sie ständig kränkte. »Verzeihen Sie mir«, sagte er. »Es ist nicht nur das â auch die Umstände â¦Â«
Sie unterbrach ihn. »Wenn wir miteinander verhandeln, müssen wir von Anfang an ehrlich sein. Sie glauben, ich bin nicht an die Art gewöhnt, in der Sie mich anschauen. Ich kenne das von Kindheit an. Ich bin mir über alle Ihre Gedanken im Klaren, sie wurden mir gegenüber schon mein Leben lang mit weitaus weniger Höflichkeit und Nachsicht ausgesprochen. Ich bin es gewohnt, mit Männern zu verhandeln, die älter sind als Sie und vielleicht weniger ererbte Macht haben, aber bestimmt mehr Hinterhältigkeit. Ich weiÃ, wie ich meine eigenen Ziele erreiche und meinen Willen durchsetze. Mein Clan gehorcht mir; ich bin von Gefolgsleuten umgeben, denen ich vertrauen kann. Was glauben Sie, wo mein Mann jetzt ist? Er blieb auf meinen Befehl in Maruyama. Ich reise ohne ihn, wenn es mir so gefällt.« Sie schaute ihn an und wich seinem Blick nicht aus. »Unser Bündnis wird nur funktionieren, Lord Otori, wenn Sie das alles begreifen.«
Ein tiefes gegenseitiges Erkennen verband sie. Sie sprach aus dem gleichen Machtbewusstsein heraus, das auch er hatte und das so elementar war, als wäre das Mark der Knochen daraus gemacht. Sie beide waren gleich erzogen worden mit dem Ziel, Oberhaupt ihres Clans zu sein. Sie war ihm gleich; sie war Iida Sadamu gleich.
»Lady Maruyama«, sagte er förmlich, »ich vertraue Ihnen und ich akzeptiere Ihr Bündnisangebot. Ich danke Ihnen aus tiefstem Herzen.«
Sie antwortete ebenso: »Lord Otori, von heute an sind die Maruyama und die Otori Verbündete. Ich bin Ihnen zutiefst dankbar dafür, dass Sie meine Sache unterstützen.«
Er spürte, wie ein Lächeln aus ihm herausbrach, und auch sie lächelte ihm freimütig zu. Der Moment dauerte ein wenig zu lange und sie sprach in eine Stille, die fast peinlich geworden war. »Gehen Sie mit mir in die Frauengemächer? Ich werde Tee machen.«
»Gern«, antwortete er.
Sie verneigte sich tief und wandte sich um. Shigeru folgte ihr auf dem Pfad zwischen den Steinen und den Sträuchern mit den dunklen Blättern. Sie gingen seitlich an den Haupthallen und Höfen des Tempels vorbei und dann
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