Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
Verfügung stehen.«
»Und wir kommen nie zum Tempel«, fügte Takeshi hinzu.
Shigeru sah, wozu er geworden war: zu einer Art Symbol für diese Leute, die all ihr Vertrauen, ihre ganze Hoffnung auf ihn setzten. Wenn er sie enttäuschte, würden sie unter die Herrschaft der Tohan kommen. Das konnte er nicht ertragen. Aber war er bereit, die MaÃnahmen zu ergreifen, die Krieg über das ganze Land brachten? Und die Verehrung machte ihn zugleich traurig. Sie war so wenig begründet, eher eine Wunschvorstellung, unrealistisch und unhaltbar. Er wollte, dass ihr Leben eine vernünftigere Grundlage hatte: Gerechtigkeit, weil das der Wille des Himmels war, nicht die Laune eines idealisierten Helden.
In dem Gasthaus am Fuà des Berges hielten sich mehrere Bedienstete auf, die das Emblem der Maruyama auf ihren Waffenröcken trugen. Sie starrten Shigeru und Takeshi mit unverhohlener Neugier an, als die Brüder von ihren Pferden stiegen, die sie Kiyoshige anvertrauten.
»Wir werden direkt zum Tempel gehen«, sagte Shigeru.
»Ja, was ich gegessen und getrunken habe, reicht mir noch für Tage«, erwiderte Takeshi, denn sie waren bei jedem Halt bewirtet worden.
Als sie den Berg hinaufstiegen, erinnerte sich Shigeru an den Tag, an dem er das allein getan hatte. Er war fünfzehn gewesen, über ein Jahr älter, als Takeshi jetzt war. Die ersten Tage hatte er fast unerträglich gefunden, zu gern wäre er weggegangen. Würde Takeshi es unerträglich finden? Andere Jungen in seinem Alter würden dort sein, aber das waren Novizen, nicht die Söhne eines Clanführers. Shigeru dachte, er könnte Matsuda bitten, Takeshi nachsichtig zu behandeln, doch dann überlegte er es sich anders. Takeshi würde von Matsuda so behandelt werden, wie er es nötig hatte, und Nachsicht war das Letzte, was er brauchte, wenn er lernen sollte, sein Ungestüm zu zügeln und das abzulegen, was seine nachgiebige Mutter bewirkt hatte.
Zuerst sprang Takeshi ihm voraus den Pfad hinauf, doch als der Anstieg steiler wurde, ging er langsamer. Der Gedanke an die kommenden Monate nahm ihm vermutlich etwas von seinem Ãbermut.
Die Mönche begrüÃten sie mit stiller, zurückhaltender Freundlichkeit und führten sie sofort zu MatsudaShingen, der jetzt Abt des Tempels war. Er hieà sie willkommen und zeigte offen seine Freude, Shigeru wiederzusehen. Matsuda betrachtete Takeshi aufmerksam, sagte aber nur, dass er zumindest im Aussehen seinem Bruder sehr gleiche. Dann rief er nach zwei Jungen, die einfache Kleidung trugen und die Köpfe rasiert hatten, und bat sie, Lord Takeshi herumzuführen, während er mit Lord Otori sprach.
Die Jungen gingen in respektvollem Schweigen davon, doch bevor sie auÃerhalb der Klostermauern waren, hörte Shigeru Takeshi eifrig fragen und bald alle drei lachen.
»Ihr Bruder kommt sehr früh«, sagte Matsuda. »Ich frage mich, ob er die Reife hat â¦Â«
»Ich hoffe, er wird sie hier erlangen«, entgegnete Shigeru. »Er lernt in Hagi nicht die nötige Disziplin; meine Eltern verwöhnen ihn, Mori Kiyoshige bringt ihn auf Abwege und er respektiert kaum jemanden. Ich möchte, dass er wenigstens ein Jahr hierbleibt, möglichst länger. Er soll erzogen und trainiert werden wie ich â¦Â«
Matsuda unterbrach ihn behutsam. »Ich habe jetzt andere Aufgaben. Ich kann nicht mehr längere Zeit vom Tempel fernbleiben wie damals mit Ihnen.«
»Das verstehe ich natürlich. Aber ich hoffe, Sie können ihm hier viel von dem beibringen, was Sie mich gelehrt haben.«
»Wenn er bereit ist, es zu lernen, dann werde ich das tun, das verspreche ich Ihnen.«
»Ich habe noch einen anderen Grund, ihn jetzt hierherzuschicken«, sagte Shigeru. »Wenn wir nächstes JahrKrieg führen müssen, wird er auÃer Gefahr sein, und wenn mir der Tod auf dem Schlachtfeld begegnet, wird der Clanerbe in sicheren Händen sein. Ich vertraue Ihnen da, wo ich meinen Onkeln nicht vertraue.«
»Sie haben Recht, glaube ich, sowohl mit dem kommenden Krieg wie mit Ihren Onkeln«, sagte Matsuda ruhig. »Aber sind die Otori bereit? Sie müssen einen Krieg so lange wie möglich verzögern, während Sie Ihre Truppen aufbauen.«
»Ich fürchte, Sadamu wird uns bald angreifen, vermutlich von Chigawa aus. Ich habe vor, unsere Verteidigung um Yaegahara zu konzentrieren.«
»Sie müssen mit einem
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