Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
ungläubig bestaunt wurden, doch dann gab es umso mehr Beifall über den Abzug.
Masahiro schickte Akane einen letzten Brief, in dem er schrieb, er hoffe, sie werde ihn nicht zu sehr vermissen, doch sie solle sich keine Sorgen machen, er werde nicht sehr lange fortbleiben. Diesen Brief verbrannte sie ebenfalls, den Inhalt behielt sie für sich.
Harada kam aus Chigawa mit Nachrichten von Kiyoshige. Sobald der Schnee geschmolzen war, berichtete er, hatten sich Tohantruppen entlang der nordöstlichen Grenze gesammelt, sie schienen bereit zu sein, jeden Moment anzugreifen. Shigeru blieben höchstens zwei Wochen, um die Otoriarmee aufzustellen.
Shigeru brachte diese Nachricht seinem Vater und berief eilig ein Treffen mit den Ãltesten und den wichtigsten Gefolgsleuten ein, bei dem er seine Entscheidung verkündete, sofort Truppen entlang der KüstenstraÃe zur Grenze zu schicken und den Tohan auf der Ebene von Yaegahara entgegenzutreten.
Seine Onkel waren natürlich nicht anwesend, und als Endo Chikara und andere zu bedenken gaben, man könne durch den Rückzug aus Chigawa versuchen, Iida zu besänftigen, sprach sich Shigeru sofort dagegen aus und sagte, er werde den Tohan keinen einzigen Morgen Otoriland überlassen. Seiner Meinung nach konnten die Otori die Tohan jetzt auf dem Schlachtfeld ihrer Wahl und zu ihren Bedingungen besiegen. Wenn sie die Tohan jetzt besänftigten, würden sie beide Vorteile für immer verlieren.
Sein Vater unterstützte ihn nachdrücklich bei dem Treffen und auch hinterher.
»Du solltest in Hagi bleiben«, riet Shigeru ihm, doch Lord Shigemori hatte sich entschieden.
»Wir werden Seite an Seite kämpfen. Niemand soll hinterher sagen können, dass der Clan zerstritten war oder dass du allein und ohne meine Zustimmung gehandelt hast.«
»Dann sollten meine Onkel zweifellos auch dabei sein.«
Shigerus Vater stimmte zu und Boten wurden in die Exilorte geschickt. Aber Shoichi und nach ihm Masahiro antworteten bedauernd: Shoichi hatte sich bei einem Sturz vom Pferd die Schulter verstaucht und Masahiros Haushalt war von einer bedenklichen Krankheit befallen, möglicherweise Masern oder sogar Pocken. Masahiro konnte nicht riskieren, die Ansteckung zu verbreiten.
Lord Shigemori reagierte zornig auf diese Antworten, doch Shigeru war trotz der Kränkung erleichtert. Wenn seine Onkel seine Politik nicht rückhaltlos unterstützten, war es besser, wenn sie wegblieben. Um sie würde er sich nach der Schlacht kümmern. In der Zwischenzeit konnten ihn ihre Gegenwart und ihr Einfluss auf seinen Vater nicht irritieren.
Doch er machte sich Gedanken über ihre wahren Absichten und sein Vater teilte anscheinend seinen Verdacht. An vielen Abenden vor ihrer Abreise hatten sie den Stand der Vorbereitungen in der Armee, die Strategie und Taktik diskutiert, oft war auch Shigerus Mutter dabei gewesen. Eines Abends schickte Shigemori die Diener weg und sagte, er wolle ungestört mit seinem Sohn sprechen. Lady Otori stand auch auf und wollte gehen.
»Du kannst bleiben«, sagte er. »Du musst Zeugin sein bei dem, was ich zu sagen habe.«
Sie sank auf die Knie und verneigte sich vor ihrem Mann, bevor sie sich wieder aufrecht, still und beherrscht setzte.
Lord Shigemori holte sein Schwert aus dem Ständer hinten im Raum und legte es vor Shigeru auf den Boden. Es war das legendäre Schlangenschwert Jato, ein langes Schwert, das einer der groÃen Waffenschmiede in der Hauptstadt geschmiedet und Scheide und Griff mit Bronze und Perlmutt verziert hatte. Jato war dem Otorihelden Otori Takeyoshi verliehen worden, der zugleich eine der Konkubinen des Kaisers zur Ehefrau erhalten hatte.
»Du kennst den Ruf dieses Schwerts?«
»Ja, Vater.«
»Angeblich wählt es seinen Meister; vielleicht ist das wahr, ich weià es nicht. Ich habe es bekommen, als mein Vater starb â er hatte nicht das Glück, in der Schlacht beim Kampf gegen seine Feinde zu sterben, wie es mir bald bestimmt sein mag. Er starb im Alter, umgeben von seinen Söhnen, das Schwert erbte ich als der älteste Sohn.«
Lady Otori sagte: »Deine Stiefmutter hatte andere Wünsche.«
Ihr Gemahl lächelte bitter. »Weder Shoichi noch Masahiro werden je Jato in Händen halten. Sie werden nie die Otori führen, sie dürfen es nicht. Shigeru, seit deiner Rückkehr aus Terayama und deinen Taten an den Ostgrenzen sind mir ihre Ambitionen
Weitere Kostenlose Bücher