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Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels

Titel: Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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das er durchquerte, stellte fest, in welchem Zustand die Reisfelder waren, wie die Wälder aussahen, die Felder am Berghang, wo die Bauern Gemüse anpflanzten und mit Pfählen einzäunten, um es vor Wildschweinen zu schützen. Es war Hochsommer, die Reisfelder leuchteten grün, die Wälder waren dicht und schattig, von schrillen Zikadenrufen erfüllt, die Luft schwer und feucht. Auch Vogelstimmen klangen durch den Wald, und jede Nacht drang das Quaken der Frösche aus den Gräben und Teichen.
    Er mied die Hauptstraßen, folgte steilen schmalen Pfaden und verirrte sich von Zeit zu Zeit, behielt aber immer die südliche Richtung bei, bis er zu der Hütte kam, in der er einst den Sommer mit Matsuda verbracht hatte. Er kam bei Dunkelheit an, schreckte den Tanuki auf, der unter die Veranda sprang, und verbrachte die Nacht in der Hütte. Offenbar war sie längere Zeit ungenutzt gewesen, denn die Luft war stickig und die Glut in der feinen grauen Asche schon lange kalt. Die Hütte war für ihn voller Erinnerungen an Matsudas Unterweisungen, an Miuras Tod und den Fuchsgeist, der ein Freund namens Muto Kenji geworden war. Shigeru aß den Rest seines Proviants und setzte sich dann meditierend auf die Veranda, während sich das Sternenzelt über ihm drehteund der Tanuki auf seine nächtliche Jagd ging. Als er kurz vor Sonnenaufgang zurückkam, zog sich auch Shigeru in die Hütte zurück und schlief ein paar Stunden. Erfrischt wachte er auf, fühlte sich besser als seit Monaten, frühstückte Quellwasser und brach auf zum letzten Abschnitt seiner Reise.
    Mittags ruhte er sich eine Weile unter der stattlichen Eiche aus, wo er den Houou gesehen hatte. Er konnte sich noch gut daran erinnern, die weißen Federn des Vogels mit den roten Spitzen hatte er sich deutlich eingeprägt. Matsuda hatte dann mit ihm über das Sterben gesprochen, über die Wahl des richtigen Wegs, um den eigenen Tod bedeutsam zu machen; aber jetzt lebte er noch, während so viele gestorben waren – hatte er die richtige Wahl getroffen? Oder würde das Ergebnis seiner Aktivitäten nur darin bestehen, den Houou so gründlich aus dem Mittleren Land vertrieben zu haben, dass er nie zurückkehrte?
    Kitano hatte gesagt, der Tempel sei von Kriegern umzingelt, doch es war nichts von ihnen zu sehen – vielleicht waren sie alle nach der Unterzeichnung der Kapitulation nach Yamagata zurückgekehrt, zu den vielen Gasthäusern und schönen Frauen, oder sie waren heimgegangen nach Tsuwano, um die Ernte vorzubereiten. Dennoch, trotz des scheinbaren Friedens und der Ruhe rings um den Tempel, der anmutigen Kurve des Dachs vor dem tiefgrünen Wald, der weißen Tauben, die mit unaufhörlichem Gurren um die Dachvorsprünge flatterten, konnte Matsuda Shingen bei Shigerus Ankunft seine Sorge nicht verbergen. Shigeru war einfach in den Haupthof getreten und hatte mit einem der Mönche geredet, die den Kies rechten und die Pfade kehrten – der Tempel war nicht militärisch befestigt und das Haupttor offen von Sonnenaufgang bis Mitternacht. Der Mönch hatte Shigeru fälschlich für einen gewöhnlichen Reisenden gehalten und ihm den Weg zum Gästequartier gezeigt. Erst als Shigeru den Hut abnahm und darum bat, den Abt sprechen zu können, wurde er erkannt und sofort in Matsudas Arbeitszimmer geführt. Dort kniete er vor dem alten Mann nieder, doch Matsuda stand auf, ging schnell zu ihm und umarmte ihn.
    Â»Sie sind allein und in dieser Kleidung gekommen? Das ist ein Risiko für Sie. Sie müssen doch wissen, in welcher Gefahr Sie sind.«
    Â»Ich fand, ich müsse das Totenfest hier begehen«, sagte Shigeru. »In diesem Jahr muss ich vor allem den Geist meines Vaters ehren und die der Gefallenen.«
    Â»Ich werde Ihnen zeigen, wo Lord Shigemoris Asche begraben wurde. Aber zuerst lassen Sie mich Ihren Bruder rufen. Sicher wollen Sie ihn endlich sehen.« Matsuda klatschte in die Hände, und als der Mönch kam, der Shigeru begleitet hatte, bat er ihn, Takeshi zu holen.
    Â»Geht es ihm gut?«, fragte Shigeru.
    Â»Körperlich ist er in gutem Zustand – ausgezeichnet. Aber seit den Nachrichten von der Niederlage und Ihres Vaters Tod ist er sehr verstört – wütend und trotzig. Mehrfach hat er gedroht wegzulaufen. Zu seiner eigenen Sicherheit versuche ich ihn im Auge zu behalten, doch die ständige Überwachung ist ihm

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