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Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels

Titel: Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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Feuchtigkeit und Moder hatten ihn bereits in eine Depression gestürzt und er hatte den ganzen Tag gegen Zorn und Verzweiflung gekämpft.
    Â»Lassen Sie mich allein«, sagte er und die Wut war ihm anzuhören. »Gehen Sie weg.«
    Â»Warum? Erinnere ich Sie an das, was Sie lieber vergessen würden? An den Tod von Tausenden, die Ihretwegen starben? An den Verlust von zwei Dritteln des Mittleren Landes, die Auslöschung meiner Familie, an Ihre völlige Demütigung?«
    Der Zorn packte ihn. Er war auf den Füßen, bereit, hinaus in den Regen zu stürzen. Sie stand zwischen ihm und der Tür. Er hob die Hände, um sie wegzuschieben, doch sie ließ sich gegen ihn fallen und er nahm ihren Geruch wahr, frisch aus dem Bad, den Duft ihrer seidigen Haare. Er hasste und begehrte sie zugleich. Sie war seine Frau, sie sollte ihn befriedigen und ihm Kinder schenken. Er erinnerte sich jäh an ihre Hochzeitsnacht mit ihren Erwartungen und ihrer Enttäuschung. Er umklammerte ihren Arm, legte die andere Hand an ihren Nacken, spürte die verletzlichen Knochen oben an der Wirbelsäule. Er war sich bewusst, wie zerbrechlich sie war und wie stark er selbst und seine Begierde überwältigte ihn.
    Er warf sie auf die Matte, tastete nach ihrer Schärpe, öffnete ihr Gewand, lockerte sein eigenes und wollte sie verletzen, sie irgendwie bestrafen. Sie stieß einen schwachen Angstschrei aus. So abrupt, wie er gekommen war, verging sein Zorn. Shigeru erinnerte sich an ihre Angst und Frigidität.
    Ich wollte sie mit Gewalt nehmen , dachte er voller Ekel.
    Â»Es tut mir leid«, sagte er unbeholfen, wandte sich ab von ihr und ließ sie los.
    Sie machte keine Anstalten aufzustehen oder sich zu bedecken, sondern starrte ihn mit einem seltsamen Blick an, den er nie zuvor gesehen hatte. Sie sagte: »Ich bin Ihre Frau. Das ist die einzige Sache, wegen der Sie sich nicht zu entschuldigen brauchen. Das heißt, falls Sie noch dazu fähig sind.«
    Die schmalste Grenze trennt die Intensität des Hasses von der Intensität der Liebe. Sein Zorn erregte Moe mehr als seine Behutsamkeit. Sie wollte seine Wut, seine Sanftheit hatte sie gehasst. Der Akt war bei ihnen ebenso sehr einer der Gewalt wie einer der Liebe. Doch im Moment seiner Auslieferung, als er sich in sie entleerte, empfand er eine jähe Zärtlichkeit für sie, den Wunsch, sie zu besitzen und zu beschützen.
    Ihr Eheleben nahm sein eigenes verzerrtes Muster an, das aus den abgerissenen und verdrehten Fäden ihres Lebens gewoben war. Am Tag verhielt sich Moe wie eine mustergültige Ehefrau, ruhig, ehrerbietig gegenüber der Schwiegermutter, arbeitsam. Aber wenn sie mit Shigeru allein war, versuchte sie seinen Zorn zu wecken und sich ihm dann zu ergeben. Sie zog die Wut an, wie eine hohe Kiefer den Blitz anzieht, und wurde von Shigerus Reaktion angesteckt und verletzt zugleich. Er lebte und bewegte sich immer noch in einem Stadium der Unwirklichkeit, beschäftigte sich den Tag hindurch und abends, häufig mit Ichiro, mit den Aufzeichnungen. Das pausenlose Trommeln des Regens, die feuchte Luft, der Modergeruch, das alles schob sich zwischen ihn und diewirkliche Welt. Manchmal glaubte er, ein lebender Geist zu sein, der in den Nebel davonschweben würde. Der Zorn, den Moe in ihm weckte, dazu seine Begierde und deren Erfüllung dienten einem sonderbaren Zweck, sie verankerten ihn in der Wirklichkeit. Dafür war er ihr dankbar, doch jede Form von Zärtlichkeit löste bei ihr Verachtung aus, deshalb sprach er nie darüber.
    Als die Regenzeit aufhörte, hatte sie ein Kind empfangen. Shigeru schwankte zwischen Freude und düsterer Vorahnung. Wenn er sich selbst als einen einfachen Krieger und Bauern sah, was ihm gelegentlich gelang, stellte er sich vor, wie glücklich ihn Kinder machen würden; wenn er seine Rolle als enteigneter Clanerbe betrachtete, wusste er, dass ein Kind, vor allem ein Sohn, seine Stellung nur noch mehr gefährden würde. Wie lange würde man ihn leben lassen? Wenn die Regierung seiner Onkel gerecht wäre, würde der Otoriclan ihn bald vergessen, die Menschen würden sich friedlich damit arrangieren, sein Leben würde ihnen nichts bedeuten, sein Tod würde nicht betrauert werden. Wenn, wie er fürchtete, Shoichi und Masahiro weiter die Bodenschätze des Landes zu ihrem eigenen Nutzen ausplünderten und die Unruhen zunahmen, wäre sein Überleben noch mehr

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