Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
widerwärtig.«
»Mit anderen Worten, er ist sehr schwierig geworden«, sagte Shigeru. »Ich werde Ihnen die Sorge um Takeshi abnehmen. Er muss zurück nach Hagi.«
»Lord Kitano hat angeboten, einen Begleiter zu schicken«, sagte Matsuda. »Aber Takeshi weigert sich, mit ihm zu gehen, er sagt, er verkehrt nicht mit Verrätern.«
»Ich habe befürchtet, Kitano könnte versuchen, ihn in Tsuwano aufzuhalten und ihn so zur Geisel zu machen«, sagte Shigeru. »Lieber wäre mir, wenn Takeshi mit mir zurückkäme.«
»Aber dann wäre Ihre Reise offenkundig«, warnte Matsuda.
»Meine Reise wurde von meinen Onkeln zwar nicht gebilligt, aber sie war völlig gerechtfertigt«, erwiderte Shigeru. »Ich muss die nötige Zeremonie für meinen Vater hier durchführen, wo seine Asche begraben ist, und das jetzt, beim Totenfest.«
»Iida wird den geringsten Vorwand zum Beweis dafür nehmen, dass Sie Vereinbarungen des Kapitulationsvertrags gebrochen haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er Sie am Leben lässt. Er wird Sie entweder heimlich ermorden oder öffentlich hinrichten lassen. Sie sind nur sicher, wenn Sie in der Region leben, die vom Mittleren Land noch geblieben ist, in Hagi.«
»Ich habe nicht vor, den Rest meines Lebens in einer Art Gefängnis zu verbringen!«
»Wie dann?« Matsuda zeigte keine Anzeichen von Mitgefühl, Bedauern wegen der Niederlage oder machte gar Vorwürfe. Shigeru hatte nach bestem Wissen und Vermögen gehandelt und war besiegt worden, aber seine Handlung war richtig gewesen. Diese Haltung stärkte und tröstete Shigeru weitaus mehr als jedes Mitleid.
»Unter anderem habe ich vor, Bauer zu werden. Ich werde mich aus der Welt zurückziehen. Und ich werdewarten.« Diese Antworten kamen ihm jetzt in der Stille des Tempels. »Aber ich muss das Land kennen. Ich habe vor, es zu durchwandern und zu entdecken. Selbst Iida kann darin keine Provokation sehen. Ich selbst, meine Person, wird meine Waffe gegen ihn sein. Alles, was Iida nicht ist, werde ich sein. Ich muss leben â um ihm zu widerstehen, ihn zu besiegen, selbst wenn ich ihn nur überlebe. Wenn ich ihn dazu herausfordern kann, mich zu ermorden, wird mein Tod erreichen, was mein Leben nicht fertigbringt. Und ich werde versuchen, jedes Jahr hierherzukommen. Ich hoffe, Sie werden mich weiter beraten und unterweisen.«
»Natürlich werde ich das mit Freuden tun, solange ich Ihr Leben dadurch nicht noch mehr gefährde.«
»Ich hätte mich auf dem Schlachtfeld getötet«, fühlte Shigeru sich verpflichtet zu erklären, »aber meines Vaters Schwert Jato wurde mir in die Hände gelegt und ich glaube, das war ein Befehl für mich weiterzuleben.«
»Wenn Sie das Schwert bekommen haben, muss das zu einem Zweck geschehen sein«, sagte Matsuda. »Der Sinn Ihres Lebens ist noch nicht erfüllt. Doch der Weg wird von hier an sehr viel steiniger sein als der, den Sie schon gegangen sind.«
»Ich weià nicht mehr, wer ich bin«, bekannte Shigeru. »Was bin ich, wenn ich nicht der Anführer des Clans bin?«
»Das werden Sie lernen«, sagte Matsuda. »Was es ist, das Sie zu einem Mann macht. Es wird eine schwerere Schlacht sein als Yaegahara.«
Shigeru schwieg. »Meine Frau erwartet ein Kind«, sagte er dann abrupt.
»Ich hoffe, es ist ein Mädchen. Ihre Onkel werden sehr beunruhigt sein, wenn Sie einen Sohn haben.«
Ein Geräusch drauÃen unterbrach sie und die Tür öffnete sich. Takeshi eilte herein und stürzte sich auf seinen Bruder, als Shigeru aufstand, um ihn zu umarmen. Shigeru spürte, wie seine Augen heià wurden. Er hielt Takeshi an den Schultern und schaute ihn an. Takeshi war gewachsen und stattlicher geworden, sein Gesicht schmaler und reifer, es hatte jetzt die hohen Wangenknochen und die kräftige Nase, die den Otori das adlerähnliche Aussehen gaben. Takeshis Augen glänzten und er schniefte ein paarmal, kämpfte aber die Tränen zurück.
»Bist du hierhergekommen, um dich zu töten?«, fragte er. »Du musst zulassen, dass ich dich begleite. Lord Matsuda wird uns helfen.«
»Nein, wir werden leben«, erwiderte Shigeru. »Das war der ausdrückliche Wunsch unseres Vaters. Wir werden leben.«
»Dann müssen wir in die Berge gehen und dort gegen die Tohan kämpfen!«, rief Takeshi. »Wir können die
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