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Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels

Titel: Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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gefährdet. Die Hoffnungen auf die Erneuerung der Welt und die Rückkehr einer gerechten Regierung würden sich auf ihn konzentrieren, der Unmut würde Landarbeiter und Bauern zu Aufständen anstacheln. In den Augen seiner Onkel wäre er ein unentwegter Aufrührer. Wenn er lange genug leben wollte, um Rache zu üben, musste er einen Mittelweg finden zwischen zu großer Präsenz und völligem Vergessenwerden. Er fürchtete,ein Sohn könnte für seine Onkel eine Herausforderung sein, die sich nicht ignorieren ließ, doch zugleich sehnte er sich nach einem Kind, dem Erben väterlichen Bluts, dem wahren Erben des Clans.
    Er fürchtete auch um Moes Gesundheit. Die Schwangerschaft war schwer, Moe hatte keinen Appetit und übergab sich häufig. Von Zeit zu Zeit kam ihm der Gedanke, dass ihre brutale Paarung nur ein monströses Kind erzeugen könnte.
    Moe kam nachts nicht mehr zu ihm, sie sprachen kaum noch miteinander. Sie zog sich in das Frauenquartier im Haus zurück, wo Chiyo sich um sie kümmerte, sie zum Essen überredete, ihr Beine und Rücken massierte und einschläfernde Tees braute, um die Übelkeit zu lindern.

KAPITEL 35 

    Shigerus nächste Sorge galt dem bevorstehenden Totenfest. Er hatte bisher um diese Zeit immer, wenn es möglich gewesen war, Terayama besucht, wo viele seiner Vorfahren beerdigt waren. Man hatte ihm gesagt, dass auch die Asche seines Vaters nach der Schlacht dorthin gebracht worden sei, aber er war weder beim Begräbnis gewesen noch hatte es irgendeine Zeremonie in Hagi gegeben – nur seine kurzen Gebete im Dorf des Stamms. Er empfand es als seine Pflicht, jetzt nach Terayama zu gehen, seinem Vater die Ehre zu erweisen und Gebete für ihn, ihre Vorfahren und die Toten der Otori sprechen zu lassen, die Übergabe der Stadt Yamagata zum Abschluss zu bringen und seinen Bruder nach Hause zu begleiten, denn Takeshi war immer noch im Tempel. Und er sehnte sich danach, Matsuda Shingen zu sehen und von dem Abt einige weise Worte zu hören, die ihm zeigen würden, wie er den Rest seines Lebens zu verbringen habe.
    Er sprach mit Ichiro über seinen Wunsch, nach Terayama zu reisen, und der Ältere sagte, er werde sich an die Otorilords wenden und herausfinden, ob eine solche Reise genehmigt werde. Was in dieser Antwort mitschwang, machte Shigeru zornig: Er hatte nicht mehr die Freiheit, nach seinen Wünschen durch das MittlereLand zu reisen, bei allem musste er seine Onkel um Erlaubnis bitten. Doch jetzt konnte er seine Empörung besser beherrschen, er ließ Ichiro nichts davon merken und bat ihn nur, so bald wie möglich um die Erlaubnis zu ersuchen, weil er Vorbereitungen treffen müsse und zuvor eine Botschaft an Matsuda schicken wolle.
    Shigeru bekam kein direktes Nein, aber die ständigen ausweichenden Antworten machten ihm klar, dass die Erlaubnis entweder nicht oder zu spät erteilt würde, sodass er den Tempel nicht mehr vor dem ersten Tag des Festes erreichen könnte. Er beschloss, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, zog wie bei der Wanderung mit Muto Kenji das alte Wandergewand ohne Wappen an und setzte den Binsenhut auf. Jatos Griff umwickelte er mit Haifischhaut, steckte einen kleinen Proviantbeutel und eine Handvoll Münzen ein, überquerte den Fluss bei Nacht am Fischwehr und begann die Wanderung durch die Berge.
    Wenn jemand ihn ansprechen sollte, wollte er sagen, er sei auf einer Pilgerreise zu einem der fernen Schreine in den Bergen südlich von Hagi, doch niemand schien ihn zu erkennen. In den Monaten nach der Schlacht hatten viele herrenlose oder enteignete Krieger die Drei Länder durchquert, sie waren auf dem Heimweg oder suchten Zuflucht im Wald, häufig begingen sie kleinere Diebstähle, um zu überleben. Shigeru merkte, dass sein Gesicht, seine Person nicht bekannt waren – die Leute wussten nicht, wer er war. Wenn sie ihn früher angeschaut hatten, dann hatten sie nicht ihn, das Individuum, gesehen, sondern den Erben ihres Clans. Jetzt, da er nicht mehr mit dem ganzen Drumherum von LordOtori reiste, war er unsichtbar. Das war ein Schock und eine Erleichterung zugleich.
    Viele reisten mit verhüllten Gesichtern, in Tücher gewickelt oder unter konischen Hüten wie dem seinen versteckt. Er ging scheinbar tief in Gedanken versunken, was ihn ebenso gut wie ein Tarnumhang vor den Blicken der anderen verbarg, doch dabei betrachtete er prüfend das Land,

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