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Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels

Titel: Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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Bestrafen und seltenen Schlägen zurückzuhalten. Seine Mutter Sara schwankte zwischen panischer Angst, ihn zu verlieren, und Stolz auf seine Schnelligkeit, Behändigkeit und seinen liebevollen Charakter.
    Tomasu war im fünften Lebensjahr, als in das abgelegene Dorf Mino Nachrichten von der Verfolgung der Verborgenen überall im Osten drangen, und seine Kindheit wurde vom Schatten Iida Sadamus verdunkelt, der angeblich Kinder jagte und sie mit eigenen Händen tötete. Doch zwei Jahre später schien die Schlacht von Yaegahara Lord Iidas Aufmerksamkeit von unerwünschten Elementen in seiner Domäne abzulenken. Es wurde bekannt, dass beide Seiten große Verluste gehabt hatten. Die Dorfbewohner sagten Dank, nicht für die Toten, sondern weil sie dachten, Iidas Krieger hätten in den kommenden Jahren Dringlicheres zu tun, als diesen fernen Wald nach Angehörigen der Verborgenen zu durchkämmen.
    Iida wurde so etwas wie ein Ungeheuer, mit dem Mütter ihre Kinder so ängstigten, dass sie gehorchten. Beide Seiten glaubten an seine dunkle Macht und kicherten darüber.
    Die Jahre vergingen. Die Verborgenen verhielten sich weiter friedlich, hatten Respekt vor allem Lebendigen, teilten ihr wöchentliches rituelles Mahl und sprachen selten von ihren Überzeugungen, lebten aber danach. Tomasu überstand seine Kindheit trotz der düsteren Voraussagen seines Stiefvaters. Obwohl Shimon es nichtoft zeigte, liebte er den Jungen fast so sehr wie Sara und bestimmt so sehr wie seine eigenen Kinder, die beiden Mädchen Maruta und Madaren.
    Shimon und Sara sprachen nicht von Tomasus richtigem Vater, dem Fremden, der ermordet worden war, und der heranwachsende Tomasu glich auch nicht dem Mann, an den sie sich erinnerten. Er glich eigentlich keinem, den sie kannten, er sah ganz eigen aus, dünn und mit feinen Zügen. Die einzige Ähnlichkeit, die seiner Mutter auffiel, waren die seltsamen Linien auf seinen Handflächen; sie erinnerte sich, dass sein Vater die gleichen Hände gehabt hatte.
    Tomasu war bei den anderen Jungen im Dorf nicht gerade unbeliebt, sie schätzten ihn wegen seiner Geschicklichkeit bei Spielen und wegen seines Wissens über den Wald, aber er schien immer in irgendwelche Kämpfe verwickelt zu sein.
    Â»Was ist denn diesmal mit dir passiert«, fragte Sara, als der zehnjährige Tomasu eines Nachmittags mit einer blutenden Wunde am Kopf nach Hause kam. »Komm her, lass mich sehen.«
    Tomasu versuchte sich das Blut aus den Augen zu wischen und das nachkommende aufzuhalten. »Nur ein Stein, dem ich im Weg war«, antwortete er.
    Â»Aber warum hast du denn gekämpft?«
    Â»Ich weiß nicht«, antwortete er vergnügt. »Es war ein Steinkampf. Ohne besonderen Grund.«
    Sara hatte einen alten Lappen befeuchtet und drückte ihn fest auf Tomasus Schläfe. Er lehnte sich einen Moment an sie und zuckte leicht zusammen. Meistens wehrte er sich gegen ihre Umarmungen und wand sich heraus.
    Â»Mein wilder Junge«, murmelte sie. »Mein kleiner Falke. Was wird aus dir werden?«
    Â»Haben dich die anderen Jungen aufgezogen?«, fragte Shimon. Es war bekannt, dass Tomasu leicht die Beherrschung verlor, und die anderen Jungen hatten ihren Spaß daran, ihn herauszufordern.
    Â»Vielleicht. Ein bisschen. Sie sagen, ich habe Hexerhände.« Tomasu betrachtete seine langfingrigen Hände mit der geraden Linie. »Ich habe ihnen nur gezeigt, wie ein Hexer Steine wirft!«
    Â»Du musst nicht zurückkämpfen«, sagte Shimon leise.
    Â»Sie fangen immer an«, erwiderte Tomasu.
    Â»Was sie anfangen, brauchst du nicht zu vollenden. Überlass es dem Geheimen, dich zu verteidigen.«
    Der Vorwurf der Hexerei verstörte Shimon. Er beobachtete den Jungen genau und achtete auf jedes Zeichen von Andersartigkeit oder von dämonischer Besessenheit. Er behielt den Jungen so oft wie möglich bei sich, verbot ihm, allein in den Wald zu gehen, und betete Tag und Nacht, dass der Geheime ihn nicht nur vor allen Gefahren der Welt beschützen solle, sondern auch vor seinem eigenen seltsamen Wesen.
    Die Wunde hinterließ eine Narbe, die auf der honigfarbenen Haut zu Silber verblasste und einem drei Tage alten Mond glich.
    An einem Frühlingstag einige Jahre später arbeiteten sie gemeinsam am Fluss. Sie schnitten junge Erlen, deren abgestreifte Rinde zu Tuch verarbeitet wurde. Der Fluss war von der Schneeschmelze angeschwollen. Er

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