Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
sie zu lüften. Der winzige Raum war voller Rauch.
Ein Eisenhaken, der von der Decke hing, hielt einen kleinen, jetzt dampfenden Topf. Mit dem Extraholz kochte der Inhalt bald. Matsuda nahm getrocknete Pilze und Bohnenpaste aus einem Behälter im Bambuskorb und gab beides ins Wasser. Nach ein paar Minuten nahm er den Topf vom Haken und schüttete die Suppe in zwei Holzschalen. Alle diese Bewegungen führte er behände und sehr geschickt aus, als hätte er sie viele Male zuvor geübt, und Shigeru nahm an, dass der Meister in all den Jahren, in denen er dem Erleuchteten in Terayama diente, häufig allein oder mit anderen Schülern hiergewesen war.
Sie tranken die Suppe und verspeisten danach die letzten beiden Reiskuchen aus dem Behälter. Shigeru fragte sich, was sie am nächsten Tag essen würden â vielleicht würden sie fasten. Matsuda sagte ihm, er solle den Topf zur Quelle bringen, ihn ausspülen und füllen; er wolle Tee kochen.
Inzwischen war es völlig dunkel, die Sterne funkelten durch die schwankenden Ãste, der Mond war nicht mehr als ein schwacher Schein im Osten hinter den Gipfeln. Eine Füchsin schrie in der Ferne, der unheimliche Laut lieà Shigeru an Kobolde denken â und plötzlich an Takeshi, der von den Bergkobolden die Schwertkunst lernen wollte wie einst Matsuda. Vielleicht war es genau hier gewesen. Vielleicht würde Shigeru dieselben Kobolde sehen, von ihnen lernen, der beste Schwertkämpfer in den Drei Ländern werden, viel besser als Iida Sadamu ⦠Er beschloss, keinen Augenblick dieser Zeit mit Matsuda zu verschwenden, auch wenn Fasten, Holz holen, den Boden kehren dazugehörte: Er würde alle Aufgaben des Schülers erfüllen, um von seinem Meister zu lernen.
Hinter der Hütte lag eine kleine Lichtung, eben und mit weichem Gras. Kaninchen, Hasen, Hirsche und andere Waldgeschöpfe kamen vor Sonnenaufgang hierher und grasten. Es war ein perfektes natürliches Ãbungsgelände und Shigeru brannte darauf anzufangen. Doch Matsuda schien es nicht eilig zu haben. Er weckte Shigeru, wenn noch die stille Dunkelheit herrschte, die dem Morgengrauen vorausgeht, wenn die Geräusche der Nacht, selbst das Quaken der Frösche, gedämpft klingen. Der Mondwar schon untergegangen und die Sterne wurden vom Nebel verhüllt, der aus der dampfenden Erde stieg. Die Kohlen des Feuers glimmten noch, ein winziges Licht gegen die Dunkelheit von Berg und Wald rundum.
Nachdem sie sich erleichtert, Gesicht und Hände in der Quelle gewaschen und vom Wasser getrunken hatten, sagte Matsuda: »Wir werden eine Weile still sitzen. Wenn Sie lernen wollen, brauchen Sie einen leeren Geist. Beobachten Sie Ihren Atem. Das ist alles, was Sie tun müssen.«
Der Alte setzte sich mit gekreuzten Beinen auf die schmale Holzstufe. Shigeru konnte sein Gesicht nicht sehen, obwohl es kaum einen Schritt entfernt war. Er setzte sich auf den Boden, kreuzte die Beine und legte die Hände auf die Knie, der Zeigefinger berührte leicht den Daumen.
Er atmete ein und aus und spürte dabei den Atem, wie er die Brust füllte und durch die Nase ausströmte. Das Einatmen war stark, das Ausatmen schwach: Das Einatmen war voller Leben, das Ausatmen gemahnte an den Tod. Immer folgte ihm der starke nächste Atemzug, der Körper hatte seinen eigenen Lebenswunsch, doch eines Tages würde es ein letztes Ausatmen geben. Die Luft würde nicht länger in ihn und aus ihm strömen. Dieser Körper, der ihm so vertraut war, den er so liebte, würde zerfallen und faulen. Allmählich würden sogar die Knochen vermodern. Aber sein Geist? Was geschah mit ihm? Würde er in dem endlosen Kreislauf von Leben und Tod wiedergeboren? Oder in der Hölle, die den Bösen vorbehalten war, wie manche Sekten lehrten? Oder würde er in einem abgelegenen Schrein wie diesem wohnen,wie die Landbewohner glaubten, oder in Terayama, wo seine Nachkommen ihn preisen und verehren würden?
Seine Nachkommen: Er würde heiraten; er würde Kinder haben. Er holte seine Gedanken aus dieser Richtung zurück. Er wollte nicht anfangen, an Frauen zu denken. Er öffnete die Augen und schaute schuldbewusst zu Matsuda hinüber. Der Alte hielt die Augen geschlossen, doch er sagte leise: »Beobachten Sie Ihren Atem.«
Der Atem strömte hinein und heraus. Gedanken umkreisten ihn wie Kobolde oder Dämonen und verlangten seine Aufmerksamkeit.
Wie
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