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Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels

Titel: Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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Seite kräuselten sich Banner in der leichten Brise, und es sah so aus, als würde der Otorireiher fliegen.
    Lord Otori saß in der Mitte der Plattform, links von ihm seine Brüder, rechts seine beiden Söhne Shigeru und Takeshi.
    Akane dachte daran, wie sie einem Bruder geholfen hatte, den anderen aus dem Wasser zu ziehen, und fragte sich, ob sie wussten, wer sie war. Yutas kleiner Bruder war zum Schrein geschickt worden. Er würde Priester werden, doch jetzt war er noch ein Kind und überquerte mit den anderen Jungen im Reihertanz die Brücke, am Grab ihres Vaters vorbei.
    War er schon tot?
    Die Stille der Menge, der eindringliche Pulsschlag der Trommeln, die anmutigen Bewegungen der Tänzer voll beherrschter Energie und Kraft bei dem Tanz, der älter war, als sich sagen ließ, erschütterten Akane fast unerträglich. Ohne dass sie es wollte, drang ein Schrei ausihrer Kehle, ein Schrei wie von einem Meeresvogel, der die Seelen aller durchbohrte, die ihn hörten.
    Ihr Vater hörte ihn nicht, nie mehr würde er etwas hören.
    Die Otorilords wurden fortgeleitet und die Menge zerstreute sich fast ganz, nur eine Handvoll Menschen blieb, unter ihnen Wataru und Naizo. Für ihren Meister konnten sie nichts mehr tun, doch sie brachten es nicht über sich, ihn zu verlassen. Es war undenkbar, dass sie in ihr Zuhause zurückkehrten zu ihrem normalen Leben, während er, nicht mehr lebendig, aber noch nicht tot, im Finsteren zwischen den Steinen kauerte.
    Akane hatte nicht geglaubt, dass ihr die Beine gehorchten, doch sie brachten sie mit zögernden Schritten auf die Mitte der Brücke. Hier kniete sie nieder und betete für den schnellen Tod ihres Vaters und für eine sichere Reise seiner Seele.
    Wataru kam und kniete sich neben sie. Er war für sie wie ein Onkel, sie hatte ihn ihr Leben lang gekannt.
    Â»Er hat es perfekt gemacht«, sagte er leise. »Es ist keine Luft darin. Es wird schnell gehen.«
    Sie wagte nicht zu fragen, wie lange.
    Sie blieben den ganzen Tag dort, bis der Himmel grau verblasste, der Dunst aus dem Meer stieg und ein Stern nach dem anderen erschien. Es war eine warme Nacht und ein Wasserfrosch quakte aus den Binsen, ein Glockenfrosch antwortete ihm. Einmal sprach Wataru mit Naizo, der Junge verschwand und kam dann mit einem Krug Wein und zwei Schalen zurück. Wataru goss ein wenig in eine Schale und stellte sie vor den Stein. Danntranken die drei abwechselnd aus der anderen. Als Akane die Schale an die Lippen führte, hörte sie einen neuen Klang in der Stimme des Flusses.
    Â»Ich kann ihn hören«, flüsterte sie und trank den Wein auf einen Schluck.
    Â»Nein, er ist längst tot«, erwiderte Wataru. »Quäle dich nicht.«
    Â»Hört zu«, sagte Naizo und dann hörten es alle drei, eine Art dunkles Klagen unter den Wellen des Flusses. Es war die Stimme ihres Vaters, in Wasser verwandelt. Er war eins mit dem Fluss geworden.

KAPITEL 14 

    Shigeru hörte den Schrei des Mädchens und schaute kurz zu ihr hinüber. Ihr Gesicht konnte er nicht sehen – ihr Kopf war mit einem großen Tuch bedeckt – und er erkannte sie nicht, aber dass sie so aufrecht und ruhig dastand, beeindruckte ihn. Der Tod des Steinmetzen bedrückte ihn, auch wenn er nichts gegen die Entscheidung seines Vaters gesagt hatte, weil er spürte, dass seine Loyalität wichtiger war als sein Gewissen.
    Er war aus Terayama zurückgekommen, sobald der Schnee geschmolzen und die Straßen wieder passierbar waren. Auch wenn der Winter alle Gefechte und Feldzüge beendete, wurden Intrigen vom Schnee nicht erstickt. Shigeru hatte in Tsuwano halten und noch einmal darauf bestehen wollen, dass Kitanos Söhne aus Inuyama zurückgerufen würden, doch Boten waren nach Terayama gekommen und hatten gesagt, mit Beginn des Frühlings seien die Pocken ausgebrochen und Lord Shigeru dürfe auf keinen Fall sein Leben gefährden, er solle direkt nach Hagi zurückreisen. Es war unmöglich zu wissen, ob das eine Lüge war oder nicht. Shigeru wollte unbedingt nach Tsuwano und beweisen, dass es nicht stimmte, doch Irie, der zum Tempel gekommen war, um ihn nach Hause zu begleiten, riet davon ab.
    Mit dem neuen Jahr war Shigeru sechzehn geworden. Jetzt war er ein erwachsener Mann. Seine Volljährigkeitszeremonie wurde mit großer Feierlichkeit und Freude im dritten Monat begangen. Er war froh, wieder in Hagi zu sein, auch wenn

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