Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
Bedürfnis nach Hayato. Sie wollte, dass er sie bedeckte, auslöschte, auf den elementaren Lebenstrieb reduzierte angesichts der Brutalität und des Todes. Ihre Dringlichkeit schürte die seine, er reagierte mit einer neuen Rohheit, und das war es, was ihr Körper verlangte.
Hinterher weinte sie mit langem, keuchendem Schluchzen, während er sie hielt, ihr das Gesicht abwischte und ihr die Weinschale an die Lippen hielt, damit sie trinken konnte. Die Tiefe ihres Kummers, die Wildheit ihrer Leidenschaft und seine Zärtlichkeit erschütterten sie so, dass sie fast wünschte, sich immer an ihn zu klammern.
»Akane«, sagte er, »ich liebe dich. Ich werde mit Haruna über dich sprechen. Ich werde deine Freiheit von ihr kaufen. Ich will, dass du mein bist. Ich werde alles für dich tun. Wir werden zusammen Kinder haben.«
Sie lieà kurz den Gedanken zu, wie schön das wäre, während sie zugleich kalt dachte, dass es nie geschehen würde, aber sie antwortete nicht.
SchlieÃlich sagte sie: »Ich will jetzt allein sein. Ich muss zu meiner Mutter, bevor der Tag zu Ende ist.«
»Ich kümmere mich um die Begleiter.«
»Nein«, sagte sie. »Du bist sehr lieb, aber ich gehe lieber allein.«
Jeder würde erkennen, wessen Männer bei ihr waren. Genauso gut könnte sie verkünden, dass sie schon seine Geliebte war. Sie hatte noch nicht mit Haruna gesprochen, die sowieso nicht zulassen würde, dass sie das Eigentum eines Mannes wurde. Sie würde sich nicht in Hayato verlieben, obwohl sie wusste, dass sie vorhin nahe daran gewesen war, als ihr Körper so dankbar die Intensität seiner Leidenschaft und seiner Zärtlichkeit empfand. Akane zog sich zurück von dem Krater, in dem die Feuer der Liebe brannten und dampften. Sie würde sich nie erlauben hineinzuspringen.
Akane stand reglos da, sie weinte nicht. Geweint wurde genug zu Hause von ihrer Mutter, die der Kummer seit Tagen überwältigt hatte.
»Mach es nicht schwerer, als es sein muss«, hatte ihr Vater nur einmal gesagt und Akane hatte beschlossen,ihre Tränen zurückzuhalten bis zu seinem Tod, wenn er alles Leiden und Fürchten hinter sich hatte und durch ihren Gram weder geschwächt noch beschämt würde.
Der Priester schüttelte einen Stab mit weiÃen Quasten über der Brüstung, die ein Grab geworden war. Die Steinbrücke, nach sechs Jahren vollendet, war mit neuen Strohseilen und weiÃen Bändern an jungen Weidenzweigen geschmückt. Sprechgesänge stiegen aus der Menge auf und Trommeln wurden klangvoll und rhythmisch geschlagen. Von der anderen Seite der Brücke kamen Jungen, die am Schrein des Flussgottes dienten, und führten den Reihertanz auf.
Sie waren in Gelb und Weià gekleidet und hatten Quasten wie Federn um Hand- und FuÃgelenke gebunden. Jeder hielt in der Rechten einen Talisman mit einer Prägung aus Bronze, die Akane an einen Reiherschädel denken lieàâ die kleine Hirnschale und der groÃe Schnabel, die leeren Augenhöhlen.
Hörte ihr Vater die Trommeln und die Gesänge? Drang irgendein Geräusch in sein Grab? Bereute er die Besessenheit, die ihn dazu getrieben hatte, dieses Kunstwerk zu bauen, das jetzt mit seinen vier vollkommenen Bogen den Fluss überspannte und ihn zu diesem Ende gebracht hatte, geopfert, um den Flussgott zu besänftigen und ihn selbst daran zu hindern, etwas Gleichwertiges zu schaffen?
Die Leute sagten, die Brücke sei durch Hexerei erbaut. Viele stakten noch in Fährbooten über den Fluss, statt sie zu benutzen. Sie veränderte das Lied des Flusses. Mehr als fünfzehn Arbeiter waren während der Bauzeit gestorben, als hätte der Fluss bereits Bezahlung fürden Hochmut und die Unverschämtheit des Menschen gefordert. Doch der Führer des Clans, Lord Otori, hatte den Bau befohlen, und derselbe Lord Otori hatte ihres Vaters Tod befohlen, um die Ãngste der Menschen zu zerstreuen, vielleicht auch, um den Flussgott zu beschwichtigen, der fast seinen jüngeren Sohn Takeshi zu sich genommen hätte und tatsächlich Mori Yuta, den ältesten Sohn des Pferdezüchters, nahm.
Die Tänzer näherten sich vom Südende der Brücke, ihre Schritte waren fast lautlos auf dem glatten Stein. An der Nordseite war eine kleine hölzerne Plattform errichtet worden, mit Matten ausgelegt, die Seiten mit Seide verkleidet, das Dach ein Baldachin. Auf jeder
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