Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels

Titel: Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
Vom Netzwerk:
Einbildungen geleert. Er glaubte nicht daran, dass Gebete oder Zaubersprüche irgendeine Wirkung hatten oder irgendein Wesen im Kosmos auf irgendeine Weise bewegten. Er fand, wenn religiöser Glaube eine Rolle im Leben eines Menschen spielte, dann die, den Charakter und den Willen so zu stärken, dass der Mensch von Gerechtigkeitund Mitgefühl geleitet wurde und dem Tod furchtlos entgegensehen konnte. Shigeru hatte nichts übrig für die ständige Beschäftigung seines Vaters mit günstigen Tagen, Träumen, Amuletten und Gebeten, eine Beschäftigung, die zu Unentschlossenheit und Passivität führte. Und dass der Steinmetz unnötig geopfert wurde, machte ihn zornig, weil es so grausam war und eine solche Vergeudung eines Talents. Die Brücke war ein Wunderwerk, in den Drei Ländern gab es bestimmt nichts Vergleichbares. Er sah keinen Grund dafür, ihren Schöpfer auf diese Weise umzubringen, ihn lebendig zu begraben.
    Er behielt diese Gefühle jedoch für sich und beobachtete gelassen das Geschehen, doch der einzelne scharfe Schrei von der Tochter des Steinmetzen rührte ihn. Kiyoshige, der Sohn von Mori, dem Pferdezüchter, war in seine Dienste zurückgekehrt, die beiden jungen Männer hatten ihre enge Freundschaft wieder aufgenommen. Mori Kiyoshige war lebhaft und von Natur aus unbändig und während er heranreifte, benutzte er diese Eigenschaften zur Tarnung eines höchst scharfsinnigen Geistes. Wenn sein Bruder nicht gestorben wäre, hätte er sich vielleicht zu einem typisch verantwortungslosen zweiten Sohn entwickelt, doch Yutas Tod hatte ihn gemäßigt und gestärkt. In Shigerus Abwesenheit hatte er Takeshi im Auge behalten und war ein enger Freund des Jüngeren geworden. Sie glichen sich in ihren Charakteren genug, um viele Eskapaden gemeinsam zu genießen, aber Kiyoshiges Vernunft sorgte dafür, dass der eigensinnigere Takeshi nicht in Schwierigkeiten geriet. Die Umstände ihrer Kindheit, der Tod von Kiyoshiges älterem Bruder, ihre gemeinsame Liebe zu Pferden verbanden sie eng. Unter Kiyoshiges Aufsicht ritt Takeshi Shigerus schwarzen Hengst, und es war Kiyoshige, der den Jungen nach seinem Sturz mit einer Gehirnerschütterung nach Hause trug. Doch Takeshi lernte den Rappen zu reiten und jedes Pferd zu meistern, und als Shigeru zurückkehrte, wurde ein anderes Fohlen für Takeshi ins Schloss gebracht.
    Kiyoshige war frühreif und beliebt, hatte viele Freunde und Bekannte aus allen Klassen und trank wesentlich mehr, als ein Junge seines Alters sollte, doch er war immer weitaus weniger beschwipst, als er wirkte, und vergaß nie, was zu ihm gesagt wurde. Seine Stellung als Sohn eines Pferdezüchters und Freund von Lord Otoris Söhnen sowie sein eigener Geschmack für das einfache Leben bedeuteten, dass er sich frei durch viele verschiedene Schichten der städtischen Gesellschaft bewegte. Er sprach mit den Leuten und, wichtiger, hörte ihnen zu, er hatte eine große Auswahl an Informanten – unabhängig von dem offiziellen Spionagesystem, das vom Schloss unterhalten wurde, oder von den sporadischen Versuchen der Tohanspione, die Otori zu unterwandern –, durch die er von allem unterrichtet wurde, was in Hagi vorging.
    Kiyoshige kannte allen Klatsch der Stadt, und als sie an diesem Abend miteinander allein waren, fragte Shigeru ihn nach der Frau, die geschrien hatte.
    Â»Die Angehörigen sollten eine Entschädigung bekommen – sie dürfen nicht mittellos werden. Leite etwas für sie in die Wege, aber lass niemanden davon wissen.«
    Kiyoshige lächelte. »Du bist fort gewesen. Du weißt nicht, wer die junge Frau ist?«
    Shigeru schüttelte den Kopf.
    Â»Sie heißt Akane und ist ein Freudenmädchen – vielleicht momentan das berühmteste in Hagi.«
    Â»Wo arbeitet sie?«
    Â»In dem Etablissement am Hang des Feuerbergs, im Haus der Kamelien. Die Besitzerin ist eine Frau namens Haruna.« Kiyoshige lachte und fragte verschmitzt: »Willst du sie besuchen?«
    Â»Natürlich nicht! Mir hat nur das Schicksal der Angehörigen Sorge bereitet.« Doch wider Willen erinnerte er sich an seine Gefühle in Terayama daran, wie er sich danach gesehnt hatte, nach Yamagata zu entfliehen, wo man Frauen zu ihm schicken würde. Sein Vater hatte gesagt, für eine Konkubine werde gesorgt, aber bis jetzt hatte sich niemand darum gekümmert …
    Er hatte

Weitere Kostenlose Bücher