Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels

Titel: Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
Vom Netzwerk:
niemandem.
    Sie schob Akanes Entjungferung auf, bis das Mädchen fast siebzehn war, sie wollte nicht, dass sie körperlich oder emotional verletzt wurde, und sie wählte einenihrer Lieblingskunden: Hayato, den jüngeren Sohn einer Kriegerfamilie von mittlerem Rang, einen gut aussehenden Mann, nicht zu alt, der Frauen anbetete, aber nicht besitzergreifend war und sich in der Liebeskunst auskannte. Andere hatten mehr Geld für Akanes Jungfräulichkeit geboten, doch Haruna entschied aus verschiedenen Gründen gegen sie: zu alt, zu selbstsüchtig, zu sehr dem Trunk ergeben, zu häufig Versager.
    Akane genoss die körperliche Liebe so sehr, wie sie angenommen hatte. Neben Hayato hatte sie andere Kunden, doch er blieb ihr Liebling und sie war ihm dankbar für alles, was er sie lehrte. Dennoch betrachtete sie alle mit dem gleichen belustigten Abstand und das machte sie, wie Haruna vorausgesehen hatte, umso begehrenswerter. Als sie neunzehn war, hatte sich ihr Ruhm in der ganzen Stadt verbreitet. Leute kamen zu dem Haus am Berg und hofften, sie zu sehen. Haruna musste zusätzliche Wachtposten einstellen, um hoffnungsvolle Rüpel abzuwehren, die betrunken und liebessüchtig aufkreuzten. Akane ging selten aus, sie spazierte höchstens durch den Garten des Schreins und schaute hinaus über die Bucht mit den hohen Klippen der Inseln, die weiß gerahmt im indigoblauen Meer standen. Vom Vulkangipfel aus, wo Schwefeldampf aus dem alten Krater stieg, konnte sie die ganze Stadt überblicken, das Schloss, das gegenüber dem senkrechten, von ihrem Großvater erbauten Hafendamm aufragte und dessen weiße Wände vor dem dunklen Wald schimmerten, die dicht zusammengedrängten Häuser in den schmalen Straßen, die Dächer, die nach dem Regen in der Morgensonne glänzten, die Fischerboote im Hafen, die Kanäle und die Flüsse. Sie konnte sogar die Steinbrücke sehen, die sich zwischen ihren borstenähnlichen Baugerüsten wölbte.
    Die Brücke wurde im Frühling vollendet, gerade als die Weiden und Erlen am Fluss, die Buchen und Ahornbäume in den Bergen, die Pappeln und Ginkgos in den Tempelgärten neue Blätter bekommen hatten. Akane war mit Hayato zum Schrein gegangen, um dort die Kirschblüte zu bewundern, und als sie zurückkehrten, zog Haruna den Mann zur Seite und flüsterte mit ihm.
    Akane ging langsam voraus in ihr Zimmer, rief der Magd zu, sie solle Wein bringen, und war schon voller Vorfreude wie immer, wenn sie Hayato erwartete. Er brachte sie zum Lachen und hatte einen ebenso schnellen Verstand und eine ebenso flinke Zunge wie sie. Die Luft war weich und warm, von den Geräuschen und Gerüchen des Frühlings erfüllt. Akane schaute auf ihren weißen Fußrücken und konnte schon Hayatos Zunge dort spüren. Den Rest des Nachmittags würden sie zusammen verbringen, dann in der heißen Quelle baden, und sie würde keinen anderen nach ihm sehen, sondern allein essen und schlafen.
    Doch als Hayato ins Zimmer kam, war sein Gesicht ernst und voller Mitleid.
    Â»Was hast du?«, fragte sie sofort. »Was ist passiert?«
    Â»Akane.« Er setzte sich neben sie. »Dein Vater soll in die Steine seiner Brücke eingemauert werden. Lord Otori hat es befohlen.« Er versuchte nicht, die Nachricht zu entschärfen oder zu mildern, sondern teilte sie ihr klar und deutlich mit. Doch sie verstand sie nicht.
    Â»Eingemauert? Seine Leiche?«
    Da nahm er ihre Hände. »Er soll lebendig begraben werden.«
    Der Schock schloss ihr die Augen und stieß im selben Augenblick alle Gedanken aus ihrem Kopf; eine Grasmücke rief durchdringend vom Berg, in einem anderen Zimmer sang jemand von Liebe. Für einen Moment empfand sie Enttäuschung angesichts der Freuden, die sie erwartet hatte und jetzt beiseiteschieben musste, die von ihrer Trauer erstickt werden würden.
    Â»Wann?«
    Â»Die Zeremonie findet in drei Tagen statt.«
    Â»Ich muss zu meinen Eltern«, sagte sie.
    Â»Natürlich. Bitte Haruna, eine Sänfte zu bestellen. Lass meine Männer dich begleiten.«
    Er berührte sanft ihre Wange, um sie zu trösten, doch sein Mitleid und das Gefühl seiner Hand entzündeten ihre Leidenschaft. Sie riss an seinen Kleidern, tastete nach seiner Haut, brauchte seine Nähe. Normalerweise liebten sie sich langsam, beherrscht und zurückhaltend, doch das jähe Leid hatte ihr alles geraubt außer dem blinden

Weitere Kostenlose Bücher