Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
geglaubt, er hätte seine Begierden in dem langen, kalten Winter gemeistert, doch jetzt erinnerte ihn der Gedanke an Akane im Freudenhaus auf dem Berg daran, dass er sechzehn Jahre alt war, dass es Frühling war â¦
»Hole nur diskret Auskünfte ein«, sagte er. »Wenn sie eine Aussteuer braucht, damit sie heiraten kann, soll sie eine bekommen.«
»Natürlich«, stimmte Kiyoshige ernst zu.
KAPITEL 15Â
Der Geist des Steinmetzen wirkte auf die Stadtbewohner verstörend und besänftigend zugleich. Wenn Betrunkene seine körperlose Stimme nachts hörten, wurden sie nüchtern, Kinder hörten auf zu schreien vor Angst, doch andererseits waren die Leute stolz auf ihn â auf seine wunderbare Schöpfung, seinen stoisch ertragenen, ergreifenden Tod und die innere Kraft, mit der er seiner Besessenheit treu blieb. Lord Shigeru befahl, dass ein Findling an der Stelle der Brüstung errichtet wurde, wo der Körper eingemauert war, und wählte selbst die Worte, die eingemeiÃelt werden sollten.
Der Clan der Otori heiÃt die Gerechten und die Treuen willkommen. Die Ungerechten und die Untreuen sollen sich in Acht nehmen.
Akane freute sich über die Inschrift und war dem jungen Erben des Clans, der dafür gesorgt hatte, sehr dankbar. Jetzt musste sie Entscheidungen über ihre eigene Zukunft treffen. In der Nacht von ihres Vaters Tod hatte sie Wataru erlaubt, sie zum Feuerberg zurückzubringen. Dort blieb sie drei Tage lang in ihrem Zimmer, lieà niemanden zu sich, noch nicht einmal Hayato, und aà kaum etwas. Danach ging sie zu ihrer Mutter. Hayato schriebihr täglich, drängte sie, sein Angebot anzunehmen, und erklärte ihr seine Liebe. Ihre Mutter erfuhr bald davon und wurde dadurch merklich getröstet. Auch sie drängte Akane anzunehmen und machte ihre eigenen Pläne für das künftige Leben ihrer Tochter. Doch vier Wochen nach dem Tod des Steinmetzen, eine Woche nachdem der Stein mit der Inschrift errichtet worden war, kam Haruna zu Besuch.
»Es tut mir sehr leid«, sagte Akane, während ihre Mutter beiden Tee brachte und der Duft durch den Raum zog. Haruna trug ein einfaches, aber formelles Gewand, sie war mit einer Sänfte gekommen. Die Fächer der Frauen flatterten in der stillen, feuchten Luft. »Ich habe dich und meine Arbeit vernachlässigt. Nach allem, was du für mich getan hast, gibt es kaum eine Entschuldigung. Ich werde sehr bald zurückkommen. Meiner Mutter geht es fast wieder so gut, dass sie ohne mich zurechtkommt.«
»Aber unser Gast muss über Lord Hayato Bescheid wissen«, rief ihre Mutter. »Akane muss seinen Vorschlag annehmen. Haruna, überrede sie!«
»Ich würde gern mit deiner Tochter allein sprechen«, entgegnete Haruna in ihrem üblichen Ton, der keine Widerrede erlaubte, und Akanes Mutter verneigte sich vor ihr und ging.
»Komm näher«, sagte Haruna. »Das ist nur für deine Ohren. Ich hatte natürlich vor, dir zu Hayato zu raten, er hat mir viel Geld für dich geboten, aber davon abgesehen glaube ich, dass er dich glücklich machen würde. Er würde deiner wahrscheinlich nicht müde und er würde dich und eure gemeinsamen Kinder immer unterstützen. Ich habe dich sehr gern, Akane, und ich kenne Hayatoschon lange. Es würde eine sehr befriedigende Verbindung sein.«
»Aber?«, fragte Akane, als die Ãltere verstummte.
»Vor ein paar Tagen wurde ich zum Haus von Lord Mori Yusuke gerufen, dem Pferdezüchter. Sein Sohn ist, wie du vielleicht weiÃt, ein enger Freund von Lord Otoris Söhnen, besonders von Lord Shigeru. Es scheint, dass in diesen Kreisen ein gewisses Interesse an dir besteht.«
»Kiyoshige ist nur ein Junge.« Akane lächelte.
»Nicht Kiyoshige. Shigeru.«
»Lord Shigeru kennt mich nicht. Hat er mich je gesehen?« An das Mädchen im Fluss würde er sich nicht erinnern.
»Offenbar. Er sah dich vor kurzem bei dem tragischen Ereignis und gab Anweisungen, dass für dich und deine Familie gesorgt werden soll. Geld steht für dich zur Verfügung. Kiyoshige wird es mir bringen.«
Akane schwieg einige Sekunden. Dann sagte sie leichthin: »Das ist ein Zeichen von Güte, mehr nicht. Lord Shigeru galt schon immer als mitfühlend.«
»Lord Mori und sein Sohn scheinen zu glauben, es könnte mehr sein als das. Shigeru ist jetzt ein Mann. Es gibt noch keine Pläne für seine
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