Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
ihm Matsudas Rat und Unterstützung fehlten, und erleichtert darüber, dass sein Bruder seinen Sturz vom Pferd, eine leichte Lungenentzündung in den kältesten Wintertagen und zahlreiche Schläge hölzerner Schwerter bei den Ãbungen überstanden hatte. Takeshi lebte jetzt bei seinem Vater im Schloss und trainierte mit den anderen Jungen des Otoriclans.
Die Brüder genossen es, zusammen zu sein, ihre Trennung hatte die Zuneigung zwischen ihnen vertieft. Dass er von zu Hause und dem allzu liebevollen Einfluss seiner Mutter fort war, hatte Takeshi reifen lassen. Er war groà und stark für sein Alter, selbstbewusst wie immer, vielleicht eher im ÃbermaÃ, weil er zum Prahlen neigte, doch seine Lehrer versicherten Shigeru, dass Disziplin und Training ihn gemäÃigt hatten und Lord Takeshi auf jeden Fall Grund genug zum Prahlen hatte. Er zeichnete sich in allen Kriegskünsten aus, sein Verstand war schnell, sein Gedächtnis vorzüglich. Shigeru sah mit Vergnügen, dass die Eigenheiten der Otori, die so leicht zu Schwächen werden konnten, wie Matsuda ihm gesagt hatte, in seinem Fall Stärken waren â auch wenn Takeshi nichts von seinem Leichtsinn verloren hatte.
Nach seinen Gesprächen mit Matsuda beobachtete Shigeru seine Onkel genauer und achtete auf jede Andeutung von Verrat. Er berichtete seinem Vater von Kitanos Entscheidung, seine Söhne nach Inuyama zu schicken. Zuerst neigte Shigemori zur Ansicht von Shigeruund Matsuda, dass sie schnell handeln sollten, um eine solche Treulosigkeit zu unterbinden. Doch dann beriet er sich mit seinen Brüdern, die dagegen waren und sagten, es erscheine ihnen unklug, die Tohan zu provozieren und die Iidafamilie noch mehr zu beleidigen.
»Der unglückliche Zwischenfall mit Miura hat Lord Iida und seinen Sohn bereits erzürnt«, sagte der ältere Bruder seines Vaters anzüglich. »Es wurde berichtet â natürlich wissen wir, dass es nicht der Wahrheit entspricht â, du hättest darauf bestanden, Lord Miura herauszufordern, wärst von ihm jedoch besiegt worden und Matsuda habe ihn von hinten erschlagen, um dein Leben zu retten.«
»Wer verbreitet solche Lügen?«, fragte Shigeru aufgebracht. »Ich habe allein mit Miura gekämpft. Inaba war Zeuge.«
»Es passt den Tohan nicht, sehen zu müssen, dass einer ihrer Krieger von einem Otori übertroffen wurde«, sagte Shigemori. »Besonders nicht von dir, dem Clanerben.«
»Sie werden jeden Vorwand nutzen, um darin eine Beleidigung zu sehen«, antwortete Shigeru. »Sie glauben, sie können uns durch Kriegsdrohungen einschüchtern. Wir sollten sie jetzt bekriegen, bevor sie unsere Verbündeten umstimmen und noch stärker werden.«
Doch der Rat seiner Onkel zur Beschwichtigung fand bei seinem Vater mehr Gehör. Entschuldigungen für Miuras Tod wurden mit Entschädigungsgeschenken nach Inuyama geschickt. Viele im Clan waren ebenso empört wie Shigeru und nach Otoritradition machten bald Lieder und Erzählungen die Runde, die berichteten, was wirklich im Wald geschehen war, als der fünfzehnjährige Otorierbe den besten Schwertkämpfer besiegte, den die Tohan je hervorgebracht hatten. Shigeru missbilligte diese Ãbertreibung ebenso wie die Entstellung der Tohan, konnte aber gegen beides nichts tun.
Er versuchte viele Male, mit seinem Vater zu reden, doch Shigemori hörte ihm zwar zu und lobte seine Meinungen, aber der Clanführer schien unfähig zu handeln oder auch nur Entscheidungen zu treffen. Er beriet sich endlos â mit seinen Brüdern, mit den Ãltesten und, noch beunruhigender, mit Priestern, Schamanen und Wahrsagern, die alle widersprüchliche Ideen und Ãberzeugungen darüber vertraten, welche Götter beleidigt waren und wie man sie wieder besänftigte. In Shigerus Abwesenheit war Shigemori zunehmend frommer geworden. Seit Takeshi fast ertrunken war, hatte er Angst, dass die Steinbrücke, die auf seinen Befehl hin erbaut wurde, einen weiteren Akt der Vergeltung von dem gekränkten Flussgott heraufbeschwören könnte. Das Opfer, das der Tod des Steinmetzen darstellte, dachte er, würde auch die Ãngste der Stadtbewohner beschwichtigen, die die Brücke immer noch als eine Art Hexenwerk betrachteten.
Shigeru hatte im vergangenen Jahr die strengen Lehren von Terayama in sich aufgenommen und seinen Geist von Illusionen, eitlen Begierden und
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