Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
Gedanken konnte sie nicht ertragen. Er wird sich in mich verlieben, schwor sie.
Sie fürchtete nicht nur, von ihm verlassen zu werden und sich keinen neuen Liebhaber mehr nehmen zu können â der Gedanke an ihn mit einer anderen Frau riss an ihrem Herzen trotz ihrer eigenen vernünftigen Worte von vorhin. Dann kam ihr die Idee, zu dem alten Priester zu gehen und von ihm einen Zauberspruch zu erbitten, der die Frau unfruchtbar machen würde, sodass Shigeru sie hasste â¦
Akane war sorgfältig darauf bedacht gewesen, kein Kind zu empfangen: Haruna hatte sie mit Pessaren versorgt, die den männlichen Samen wirkungslos machten, und mit Tränken zum Einnehmen für den Fall, dass ihre Blutung sich verspätete, und Akane wusste genug über ihre Körperzyklen, um die Tage zu meiden, an denen sie empfänglich war. Doch sie fantasierte oft, sie hätte Shigerus Kind bekommen: Es wäre natürlich ein Junge von groÃer Schönheit und Tapferkeit. Sein Vater würde ihn anbeten, ihn anerkennen oder, noch besser, ihn adoptieren. Er würde der Erbe des Otoriclans ⦠Wenn Shigeru sie liebte, würde er ihr ein Kind geben wollen. Der Gedanke wärmte sie so, dass sie sich enger in die Decken wickelte und in den Schlaf sank.
Shigeru besprach das Thema Heirat mit Irie und schlug ein engeres Bündnis mit einer der groÃen Familien des Westens vor. Danach folgten weitere Beratungen mit den Ãltesten, mit Shigerus Vater und seinen Onkeln. Inzwischen zog seine Mutter ins Schloss, beanspruchte die besten Räume für sich und brüskierte ihre Schwägerinnen, die ausziehen mussten, um ihr Platz zu machen. Auf hintergründige Art veränderte ihre Anwesenheit das Gleichgewicht der Macht unter den Otorilords, und obwohl Shigeru sich über ihre Einmischung in seine Privatangelegenheiten ärgerte â sie machte unmissverständlich deutlich, dass sie Akane ablehnte, ohne sie je zu erwähnen, und oft wollte sie abends noch mit ihm reden, wenn er es gewohnt war, zu dem Haus unter den Kiefern zu gehen â, war er dankbar für ihre unnachgiebige Ablehnung jedes Zugeständnisses an die Tohan und vor allem jeder Heirat, die von ihnen diktiert wurde. Sein Vater, der jetzt mehr Zeit als je zuvor mit seiner Frau verbrachte, geriet allmählich unter ihren Einfluss, begann ihre Ansichten zu teilen und sich mehr auf ihren Rat als auf den der Schamanen zu verlassen.
Shigerus Onkel waren gegen ein Bündnis mit den Seishuu, weil es die Tohan beleidigen und erzürnen würde â und überhaupt, argumentierten sie, wer käme in Frage? Maruyama Naomi war bereits verheiratet, die Arai hatten keine Töchter, die Shirakawa hatten zwar ein Mädchen, doch das war noch ein Kleinkind. Also wurde als Kompromiss schlieÃlich einvernehmlich beschlossen, dass es die beste Strategie sei, wie Shigerus Mutter ihm von Anfang an gesagt hatte, so bald wie möglich eine Verlobung mit einem Otorimädchen zu arrangieren und vorzugeben, das beruhe auf einer seit langem bestehenden Vereinbarung.
Sie hieà Yanagi Moe. Ihre Familie war mit den Otorilords eng verwandt, ebenso mit Shigerus Mutter. Sie lebten in den Bergen, in der Stadt Kushimoto, und waren eine stolze, anspruchslose Familie nach alter Art. Moe war ihr ältestes Kind und die einzige Tochter, sie war dazu erzogen worden, viel von sich, ihrer Familie und ihren Vorfahren zu halten. Die Heirat mit dem Otorierben war genau, was sie sich erhofft hatte, sie fand, das war nicht mehr als ihr Recht. Sie war ein Jahr vor Shigeru geboren worden und nun, mit siebzehn, war sie klein und sehr zart, charmant und anmutig, von Natur aus zurückhaltend, von ihrer Familie überbehütet, mit wenigen Kenntnissen oder Interessen an der Welt auÃerhalb der Mauern ihres Elternhauses. Sie las gern, schrieb annehmbare Gedichte und spielte mit Vergnügen das Brettspiel Dame, lernte aber nie Schach oder Go. Sie war gut darin unterwiesen worden, einem Haushalt vorzustehen, und konnte aus einer Dienerin mit wenigen Worten ein Häuflein Unglück machen. Insgeheim hielt sie von Männern nicht sehr viel, schlieÃlich hatte sie mehrere jüngere Brüder, die ihr erfolgreich die Zuneigung ihrer Mutter streitig gemacht hatten.
Die Verlobung fand kurz vor der Wintersonnenwende in Yamagata statt und die Heirat im Frühling in Hagi. Es gab groÃe Feierlichkeiten: Geldgeschenke, Reiskuchenund Wein wurden
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