Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
unter den Stadtbewohnern verteilt, Gesang und Tanz zogen sich bis spät in die Nacht. Akane hörte die Klänge in ihrem Haus und ihre Gefühle waren bitter. Sie grub die Fingernägel in die Handflächen, wenn sie an ihn mit seiner Braut dachte. Ihr einziger Trost war das Amulett, das sie von dem alten Priester bekommen hatte. Er hatte gelacht, als sie ihm sagte, was sie wollte, und hatte sie mit scharfen, ernsten Blicken betrachtet.
»Sei vorsichtig, was du wünschst, Akane. Es geht in Erfüllung, weiÃt du.«
Zum Dank hatte sie ihn ihre Brüste befingern lassen, und das Amulett war jetzt im Garten vergraben, zusammen mit abgeschnittenen Haaren und Fingernägeln von Shigeru und ihrem eigenen Menstruationsblut.
Sie sah Shigeru eine Woche lang nicht und war schon tieftraurig, doch als er dann schlieÃlich eines Abends nach Einbruch der Dunkelheit kam, allein bis auf zwei Wachtposten, nahm er sie sofort in die Arme, ohne darauf zu warten, dass die Betten ausgebreitet wurden, und liebte sie mit einer wilden Verzweiflung, die sie nie zuvor bei ihm erlebt hatte. Das steigerte wiederum ihre Leidenschaft. Hinterher hielt sie ihn in den Armen, während er weinte â noch nie hatte sie ihn weinen sehen â, und sie fragte sich, was geschehen sein mochte.
Es schien taktlos, die Gründe für seine Verstörung zu erforschen. Akane sagte sehr wenig, rief nach Wein und schenkte ihm ein. Er trank mehrere Schalen rasch hintereinander leer und sagte dann abrupt: »Sie kann nicht mit einem Mann schlafen.«
»Sie war eine Jungfrau«, erwiderte Akane. »Diese Dinge brauchen Zeit. Sei geduldig.«
»Sie ist immer noch Jungfrau.« Er lachte bitter. »Ich konnte sie nicht dazu bringen, sich mir zu öffnen. Alles, was ich machte, verursachte ihr Schmerzen â und anscheinend Entsetzen. Sie wich vor mir zurück â sie hatte überhaupt keinen Wunsch nach mir. Ich glaube, sie hasst mich bereits.«
»Sie ist deine Frau«, sagte Akane. »Sie kann dich nicht länger ablehnen â ihr müsst Kinder miteinander haben.« Sie sprach leise und ruhig, doch innerlich jubelte sie. Ich werde den Alten an meinem Mund saugen lassen! , schwor sie.
»So hätte ich es mir nie vorgestellt«, sagte Shigeru. »Ich dachte, ich könnte ihr Vergnügen bereiten. Ich dachte, sie würde sein wie du!«
Akane nahm seine Hand und rieb ihre Finger an seinem Daumenballen. Sie fühlte so gern den Muskel unter der Haut, der stark und elastisch war von jahrelangen Ãbungen mit dem Schwert.
»Was soll ich tun?«, fragte Shigeru. »Es ist klar, dass ich sie nicht entjungfert habe.«
»Sei geduldig«, wiederholte Akane. »Wenn du dann immer noch keinen Erfolg hast, ist es die Pflicht deiner Mutter, sie zu unterweisen. Sicher kann sie ihr Bücher zeigen, ihr bestätigen, dass das alles ganz normal ist. Wenn alles fehlschlägt, kannst du sie verstoÃen.«
»Um von hier bis Inuyama ausgelacht zu werden?«Â
»Schneide dich und tropfe Blut auf das Bettzeug«, sagte Akane. »Das wird reichen, damit der Klatsch im Schloss verstummt. So gewinnst du Zeit. Sie muss lernen, dich zu lieben.«
Jede Frau, die bei Verstand war, würde das tun,dachte sie, während sie ihn anschaute und mit dem Schicksal haderte, das Yanagi Moe und nicht sie selbst zu seiner Frau gemacht hatte. Wenn ich mit ihm verheiratet wäre, wie würde ich ihn lieben! , sagte sie sich. Ich würde ihn glücklich machen.
Vielleicht hatte das Amulett stärkere Kräfte, als sie gedacht hatte; vielleicht hatte der Anblick seiner Verletzlichkeit sie geschwächt; sie stellte plötzlich fest, dass sie zitterte und sich auf neue und unbekannte Art fürchtete. Ich stehe am Rand , dachte sie. Ich darf nicht fallen. Wie werde ich leiden, wenn das geschieht. Doch ihre Abwehrkräfte schienen so schwach und unzulänglich zu sein, vor allem angesichts seiner Bedürfnisse.
Und sein Bedürfnis nach ihr wurde stärker. Er besuchte sie häufiger und schien sie nur zögernd zu verlassen. Er redete wenig über seine Frau, aber sie wusste, dass es mit ihnen nicht besser geworden war. Manchmal hatte sie Schuldgefühle wegen dem, was sie getan hatte, doch dann frohlockte sie wieder, weil ihre Gefühle füreinander immer stärker wurden.
KAPITEL 20Â
Yanagi Moe hatte sich auf ihre Ehe gefreut, aber am Ende der Regenzeit war
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