Der Clan der Wölfe 2: Schattenkrieger (German Edition)
sehe sie im Feuer der Streunerburg!
Mairie huschte den kurzen, steilen Gang in ihren Bau hinunter. Nur gut, dass sie diese Zuflucht hatte. Seit ihre Mutter Caila vor vier Monaten einen neuen Wurf zur Welt gebracht hatte, war der Familienbau viel zu eng geworden. Mairie und ihre Schwester Dearlea teilten sich die Höhle. Immer wenn eine von ihnen das Gewusel im Familienbau nicht mehr aushielt, zog sie sich hierher zurück, während die andere auf die Kleinen aufpasste.
Die Welpen waren jetzt im schwierigsten Alter. Groß genug, um sich in Gefahr zu bringen, aber zu klein, um sich allein daraus zu retten. Wie alle Welpen wurden sie von dem blendend weißen Licht angelockt, das in den Höhleneingang flutete. In ihren Augen war es eine weiße Wand, denn sie kannten ja noch kein Tageslicht. War ich in dem Alter genauso? , fragte Mairie sich manchmal. Aber sie konnte sich kaum daran erinnern.
Caila hatte einen Geburtsbau mit einem besonders langen Gang ausgewählt. „Ich will sie möglichst lange vom Licht fernhalten“, hatte sie ihrem Gefährten Eric erklärt. „Ich kann ihnen nicht nachlaufen, wenn sie hinausrennen, was sie ja immer machen, sobald die Milchzähne durchkommen.“
Caila behielt Recht: Kaum waren die Milchzähne da, brach das Chaos im Bau aus. Kein Wunder bei sechs putzmunteren Welpen. Aber am schlimmsten war das Gekläffe. Die Rufe von Wolfswelpen hatten nichts mit dem melodischen Heulen erwachsener Wölfe gemeinsam. In den ersten sechs Monaten heulten sie nicht, sie bellten – ein kurzes, scharfes Kläffen, das wie das Krachen von schweren Felstrümmern klang. Mairie dachte an das Erdbeben im vorigen Winter, das im ersten Moment wie ein Pulk Zehntausender übermütiger Welpen geklungen hatte, die japsend und kläffend aus ihrem Geburtsbau stürmten. Und dann das jämmerliche Winseln, wenn die Kleinen bettelten. Es war nicht so laut wie das Bellen, aber nervtötend schrill.
In solchen Momenten fragte sich Mairie, ob sie je eine gute Mutter sein würde. Wie hielt ihre Mama das nur aus? Aber Caila ertrug es. Wer hätte gedacht, dass sie in ihrem fortgeschrittenen Alter noch sechs lebhafte Welpen zur Welt bringen würde? Und kein einziges Malcadh darunter.
Aber die Welpen waren im Augenblick Mairies geringste Sorge. Sie hatte sich in ihre Höhle geflüchtet, weil sie vor Wut und Enttäuschung weder ein noch aus wusste. Dieser elende Knochennager hatte ihr alles verdorben. Ihr Herz zog sich zusammen, wenn sie an die enttäuschten Blicke der anderen Außenflankerinnen des MacDuncan-Clans dachte, als sie zurückgekommen war. An die Wölfinnen, die sie zu diesem Byrrgis geschickt hatten. Alastrine, die Spitzenwölfin, hatte Mairie zu trösten versucht und in ihrer fremdartigen, melodischen Sprache mit ihr geredet. Denn Alastrine war nicht nur eine gute Läuferin, sondern zugleich die Skrielin , die Vorheulerin des Rudels. Alastrine liebte die alten Wolfsworte, die noch aus der Zeit des Eismarsches vor Tausenden von Jahren stammten. „Mein liebes Herz, du musst nicht knurmen.“
„Knurmen“ war ein alter Ausdruck für „grämen“, ein ziemlich verstaubtes Wort. „Du bist noch so jung, Mairie. Jünger, als ich es bei meinem ersten Lauf als Außenflankerin in einem Byrrgis war. Morgen ist auch noch ein Tag und der bringt eine neue Jagd, einen neuen Byrrgis . Hab nur Geduld, mein Herz.“
Aber Mairie konnte an nichts anderes mehr denken. „Alles hat er verpatzt, dieser elende Knochennager! Dieses sabbernde, hasenherzige Stück Maulwurfsdreck“, schimpfte sie in ihrem dunklen Bau vor sich hin. In ihrer Wut kramte sie die schlimmsten Wolfsflüche hervor, die ihr nur einfielen. Schimpfwörter, die sie nicht laut sagen durfte, ohne von ihrer Mutter einen scharfen Knuff dafür zu ernten. Schaudernd stellte sie sich vor, wie Caila sie an der Schnauze packen und durch die ganze Höhle schleudern würde.
Aber das Problem war nicht nur, dass Faolan sie um ihren ersten Lauf als Außenflankerin gebracht hatte. Nein, da war noch mehr. Etwas, das Mairie zutiefst verwirrte und wütend machte. Wütend auf sich selbst, nicht nur auf den Knochennager. Was hatte dieser Wolf nur an sich, dass er ihr unters Fell gekrochen war wie eine Sommerzecke? Ihre Nackenhaare sträubten sich fast wie bei ihren kleinen Geschwistern. Und warum weckte er dieselben Beschützerinstinkte in ihr? Er war doch kein Welpe, verflixt noch mal. Gleichzeitig wäre sie am liebsten wie der Zorn von Lupus über ihn hergefallen, um ihm die
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