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Der Clown ohne Ort

Der Clown ohne Ort

Titel: Der Clown ohne Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Martini
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nicht wird, und das meine ich jetzt nicht kitschig oder irgendwie nur auf die zwischenmenschliche Liebe bezogen, ich meine das anders – die Liebe zu dem, was ist, wie man ist, als ich das merkte, musste ich Chris irgendwie recht geben. Er wollte nichts mehr werden. Er wollte endlich sein.«
    »Du schwallst.«
    »Ich habe doch in der Firma gearbeitet. Da war diese Politikerin von den Grünen mit …«
    »Naïn, krieg dich ein! Sag einfach nur, was passiert ist.«
    »Aber das stimmt! Wir …«
    »Naïn!? Bitte!«
    »Das wirst du sowieso nicht erfahren. Sind nicht die schlechtesten Berichterstatter die Zeugen, die noch schlechteren die Betroffenen des Geschehens?«
    »Das wird langsam anstrengend. Warum musst du auch gerade jetzt ’ne Pille schmeißen?«
    »Die wirkt doch noch gar nicht!«
    »Bestimmt.«
    »Na gut. Dann fang ich mal so an: Es war einmal ein junger Mann …«
    »Naïn!«
    »Das ganze Leben ist doch ein Märchen!«
    »Ich hab keine Lust mehr, dir zuzuhören. Du solltest dich mal ernster nehmen.«
    »Das kann ich nicht. Aber gut, dir zuliebe. Also, das Jahr mit Amaia in Barcelona, ähm, ich hielt euch für die Frauen, in deren Armen ich sterben würde. So pathetisch dachte ich damals.«
    »Das weiß ich doch.«
    »Ja, aber sie ja nicht, und schon gar nicht, dass wir beide uns alleine trafen – ich weiß nicht, ich habe euch eben beide geliebt! Sie war … sie ist dann an Weihnachten, zwei Monate nach dir, einfach abgehauen. Da stand ich nun, keine Ahnung was mit mir anzufangen, beide Frauen weg, und musste auch noch in so ’n Plattenbau umziehen, weil ich mir die Miete allein nicht leisten konnte. Da hatte ich meinen Zusammenbruch, war übersensibel, außer mir, klar, zerbrechlich. Irgendwie habe ich es dann aber geschafft, meinen Wahnsinn abzumurksen, und machte mich zum Clown.«
    »Was?«
    »Na ja. Im darauffolgenden Herbst fing ich an, in Bayreuth zu studieren. Zwar saß ich die meiste Zeit in der Gegend rum und machte mir weiter komische Gedanken, am liebsten im Hofgarten, kiffte und las Adorno und Nietzsche und hatte das Interesse an Frauen verloren, aber ich zog das durch. Ich studierte eher nebenbei, wollte aber Karriere machen, aus Angst vor der Klarsicht. Weißt du, was ich meine?«
    »Nicht ganz.«
    »Na ja, mir war das alles zu selbstüberzeugt, forciert, verschult, zu flach. Meine Noten waren zwar ziemlich gut, nur, ich wollte da nicht tiefer rein, mir ist die Anmaßung der Wissenschaften suspekt, ich wollte oberflächlich sein, aus Tiefe, wie die alten Griechen. Das kam dann in Berlin nach einer Weile wieder. Ich verzweifelte weiter an der Weltlage und der ganzen 11.-September-Geschichte. Das war schon schrecklich, ein Fanal des Bösen, eine wirklich verdammt große Katastrophe, apokalyptisch, und ich hab Medienmacht gedacht.«
    »Was?«
    »Das ist Sprechgesang! Den Spruch wollte ich übrigens hier in Berlin an Wände kleistern. Daraus wurde dann: Schön günstig. Schön, schön … und dann ein anderer, dadaistisch inspirierter: Spreewaldgurkensaft . Und Geistzeit und Das Medium und dann.«
    »Du warst also auch noch Streetart-Künstler, wie?«
    »Das ist übertrieben. Als ich nach Berlin zog, merkte ich einfach, dass ich etwas bewegen musste. Ich merkte, dass es keinen Ausweg gibt. Ich wurde im normalen Leben genauso verrückt wie in der Klarsicht. Da kam meine grüne Mütze ins Spiel, die linderte den Nihilismus etwas.«
    »Und jetzt bist du glücklich? Du bist doch dauerbreit! Du versteckst dich doch immer noch, nur eben in den Drogen!«
    »Ja und nein. Und so viele Drogen nehme ich doch auch nicht. Ich setze sie viel zu pointiert ein, um jemals ein ernstes Problem damit zu bekommen, glaube ich. Außerdem kann ich jetzt zumindest behaupten, nicht mitgemacht zu haben, im System, soweit das eben geht, bin einer der Freien, mit leuchtenden Augen, weißt du, was ich meine?«
    »Und was hat Amaia damit zu tun?«
    »Na, ihr beide, ihr wart die Auslöser meiner Kältekrankheit.«
    »Was für ’ne Kältekrankheit?«
    »Na, die grüne Mütze doch! Gegen das Frieren in der Hitze.«
    »Ich dachte, das sei einfach ’n Tick von dir.«
    »So kann man das auch sehen. Da steckt aber noch ’n bisschen mehr dahinter: Sinnsuche, Sucht, Ver…«
    »Haarausfall?«
    »…lust … Scherzkeks! Nee, die Leere, die wurde somatisch …«
    »Eben!«
    »… deshalb die Flucht in Selbsttäuschung aus Karriere und Konsum. So glaubte ich, mir das Kindliche am besten bewahren zu können, nur um zu merken, dass ich

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