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Der Clown ohne Ort

Der Clown ohne Ort

Titel: Der Clown ohne Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Martini
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das genaue Gegenteil machen musste. Was aber auch nicht der Weisheit letzter Schluss zu sein schien. Es gibt keinen Ausweg mehr. Daher die Mütze. Sie ist zwar auch eine Art Selbstbetrug, aber des Körperlichen, der Zitteranfälle, des Frierens in der Hitze wegen geht das nicht anders. Und da gehörte das Plakatekleben mit dazu. Das musst du dir vorstellen: Ich arbeitete im Bundestag und schmierte gleichzeitig aufmüpfige, dadaistisch inspirierte Plakate an Häuserwände. Schon ein bisschen schizo das …«
    »Ich sag’s ja, Haarausfall!«
    »… Ganze. Jetzt hör mal auf! Im Ernst, das war ’n ganz schöner Absturz. Ich merkte, dass ich wieder zum Kind geworden war, das ’ne Schachtel Kreide in der Hand hält – das war, als stünde ich vor einer riesigen, jungfräulichen Tafel, die ich nicht beschreiben darf. Ich dachte, was soll’s: Alles läuft schief, alle wissen das, keiner macht was. Also kritzelte ich die Tafel voll, randvoll. Es feiert sich ja am besten vor dem Fall. Es kam über mich. Ich wollte auf den Versuch hin leben, frei sein. Man sagt, wir wären eine Generation, die nicht erwachsen werden will – die haben doch keine Ahnung, wie sich das so ohne Zukunft anfühlt, wie es sich im nihilistischen Pragmatismus lebt! Es ist das Wetter, Dummkopf, das Wetter! Und manchmal darf es auch der Mensch sein. Es ist die Liebe, die Lieebe, Dummkopf!«
    »Man, hast du Teller!«
    »Eingang und Ausgang bedingen sich, man beginnt zu schweben, schwebt! schwebt! Straßen bemalen mit meinen Sprüchen, die Arbeit am Theater, die mir die Augen geöffnet hat. Tellerweit geöffnet. Tellerpupillenweit geöffnet. Wir sind überheblich geworden, Lisa. Wir haben unsere Demut verloren. Und das ist gut so. Nee, eigentlich total perfekt!«
    »Alles wird gut, Naïn. Bist du jetzt zum Gläubigen geworden, wie? Komm her. Lass dich umarmen. Man, bist du …«
    »Man, ist das schön! Wollen wir heiraten? Willst du mich heiraten? Lisa, heirate mich! Wie ich zittere, merkst du das? Ha! Ich schwebe, ich schwebe, Lisa! Dein Bauch nimmt mich mit. Ich will tanzen. Wollen wir irgendwohin tanzen gehen? Was ist heute für ein Wochentag? Lass uns tanzen gehen! ›Tanzt, tanzt … sonst sind wir verloren!‹, hat Pina gesagt! Ich schau bei der Restrealität, was heute so abgeht. Passwort … Passwort, ach ja. Benutzername? Uiuiui, man, ist das Zeug krass! Fuck. Ähm, okay. So. Wollen wir in die Panne oder ist dir das ’n bisschen heftig heute? Hast recht, okay. Moment. Hier. So. Da ist noch was auf der Modersohnbrücke. Gleich um die Ecke. Hier. Minimal. Hört sich gut an. Der DJ ist ein Bekannter von Tan. Der ist gut, soweit ich weiß. Wie wär’s? Wollen wir hingehen? Wär echt cool! Komm, auf geht’s! Nur Kippen und ein bisschen Gras einpacken und dann los! Ach komm!? Bitte. – Na gut, du hast ja recht. Ach man, schade – ich mach mal Musik an! The Avalanches! Yep. The Avalanches. Since I left you, since I met you. Wein? Weiß, ist der Weiße okay?«

Nach Norden gen Süden
    Von Silberdächern zwitschern Trauerspatzen. Klebstoffreste auf dem Ärmel. Sie mit einem Edding umkreisen. Fleck draufschreiben. Sie legt die Hand flach auf die Stirn. Sich beruhigen. Ein Lächeln, ein Pochen, Stille. Es ist, wie es ist. Es ist. Schönes Wetter, Leichtigkeit, auf Pille. Währenddessen: Klarheit, Glaube, Alles. Danach: Leere, erbärmlicher Existenzialismus, streunende Hunde an der Leine, Spitzfindigkeiten der verlorenen Insel und Idyllensterblichkeit, Sozialmaschinen.
    Das Hoffen: Die Menschen leben im Einklang mit der Natur, im Einklang mit sich selbst. Das Gemeinsame, das Gerechte zählt. Das Wachen: bukowskynisch: Der Eindruck bleibt, dass die Welt um Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte zurückgefallen ist, dass der Fortschritt, Zwischenmenschlichkeit, die Verbindung von Nützlichem und Angenehmem den Kampf gegen das böse Ego verlieren. Mehr und mehr werden die Schwachen zu Opfern, die menschlichen Bedürfnisse werden besetzt durch Krieg und Spiele. Es scheint, als hätten wir das Mögliche vertan, im Streben nach göttlicher Allmacht uns selbst verloren. Die Zeiten sind so niederschlagend leer, dass uns die Luft zum Atmen, geschweige denn zum Schreien oder Protestieren fehlt. Alles ist nur noch Fassade, fahl glänzende Notwendigkeit, hinter der sich beißendes Grauen versteckt. Von Hoffnungslosigkeit zu sprechen wäre vermessen.
    Angst vor dem Tod haben wir nur, wenn wir die Hoffnung nicht verloren haben. Auch ein Zeichen unerfüllten

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