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Der Clown ohne Ort

Der Clown ohne Ort

Titel: Der Clown ohne Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Martini
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hängt ein antiker Murano-Kronleuchter. Er lässt seinen Blick auf der Suche nach Dionysos über den Boden gleiten. »Ist nicht drauf«, sagt B, als könne sie Gedanken lesen, und zieht ihn bestimmt gen Wendeltreppe. Sie staksen hoch, auf dem ersten Absatz bleibt Naïn stehen, zupft sich den BH zurecht, fragt B, wie er aussieht, sie verdreht die Augen, sagt ungeduldig, ohne Punkt und Komma: »Klasse wie immer komm jetzt.« Sie steigen nach oben, an vertäfelten Wänden und zweiflügligen Türen vorbei. Er denkt Grotesken hinterher, Casa Battló, Barcelona, Raval, Passeig de Gràcia, Rieseneidechsen, Touristen, alte Zeiten, vergangene Lieben, sie sagt irgendwas mit Architektur, Kunst und Politik, da stehen sie für Naïn ein bisschen zu plötzlich im Flur von Lucards Wohnung. Naïn sieht Parkett und Abendgarderobe, hört Hot Chip und unsympathisch schrilles Lachen. Zur Begrüßung reicht ein Livrierter ihnen Champagner und kirschhölzerne, rotbeschleifte Ringetuis. B scheint ihn zu kennen. Die Dinger sehen aus wie angeleckte, überdimensionale Chupa-Chups-Lollis mit Cola-Geschmack. Die Normalgröße gab’s inzwischen auch als Liebesperlen. B versorgt die Kugel in ihrer Clutch. Naïn weiß erst nicht, wohin damit, und stopft sie dann, etwas umständlich, auch in seine. Sie stellt ihn einigen abendgarderobrierten Menschen vor, die Namen verlieren sich bereits nach drei Sekunden in alten, salzzerfressenen Häuserwänden der Joaquín Costa und ihren dicken Freudenmädchen. Lana. Es hagelt Fragen, er antwortet gelangweilt und gereizt. Zugeschneit, strahlend weiß funkeln seine Augen überlegen zurück. Naïn spürt Wut hinter der Stirn aufsteigen, gen glattpoliertes Parkett schnürt sich das Denken; er entschuldigt sich, steigt aus, zündet sich einen vorgedrehten Joint an, geht zielstrebig in die Küche zu den Schwarzweißen und schnappt sich wortlos eine Flasche Standard aus dem Tiefkühlfach. Nur die Harten kommen in den Garten, es steigt hoch, er schließt die Augen, seine Sohlen schlagen Wurzeln, kühle Luftzüge am Knöchel, er schwankt leicht, öffnet die Flasche, lässt das Sämige die Kehle runtergleiten und zieht noch mal an der Tüte. Dann ist er kurz bei Ton Steine Scherben und Macht kaputt, was euch kaputt macht , der Rauch quillt ins Kühlfach, kuschelt sich wohlig in die kalte Höhle, Federkiele schreiben fröhlich Orff’sche Gassenhauer in die Schwaden, Badlands, die atemberaubende Sissy Spacek, einfach umwerfend, jetzt lächelt er verträumt, ins Weite fokussiert, da gräbt sich mit einem »Du bist also Bs hübsche Freundin!« eine Hand tief in seine rechte Pobacke. Naïn ist momentan hellwach, dreht sich lasziv um und greift dem Penner schön kräftig in den Schritt, dass er sich stöhnend krümmt – das is’ ja ’n ansehnliches A… – Lucard!, denkt er scheinklar, beugt sich also vor, kneift ihm die Ohrmuschel mit den Zähnen, seine Hand nun massierend in Lucards Schritt, löst den Griff, nimmt sein Gesicht zwischen die Hände, steckt ihm die Zunge in den Hals und schaut ihm ganz tief durch die Augen ins Hirn. Wundstarrend glotzt das ihn an, Naïn lässt los und hält die Flasche hoch. »Auch einen Schluck?«, fragt er trocken. Lucard grinst bescheuert, als wäre irgendwas geklärt, Kind zweier Könige will er sein, greift sich den Wodka und versucht einen Tiefen zu nehmen, mit Vinylpupillen in minimal weidender Blässe.

Nimmermehr
    Ein Blitz muss ihn gespalten haben. Der Wunde nach zu urteilen, muss das vor fünf, sechs Jahren passiert sein. Sie wird schön vernarben. Ich setze mich an den Stamm, überblicke das vor mir liegende Tal, denke mich weg in Jugendzeiten, das Rheintal bei Basel, von der Ottilienkirche in Tüllingen aus gesehen, drei Schwestern auf drei Hügeln, Bettingen, Chrischona, Legenden von Rache, Vätern und Liebhabern, Wiesental, Schwarzwald, Jura, Burgunder Pforte, Südvogesen, Voralpen, im Talgrund der schmelzblaue Fluss, blassrosa blühende Apfelbäume, Frühjahr, nach Südosten Riehen mit der Fondation Beyeler, Giacometti, Seerosenteich, Mondrian und Malewitsch, Renzo Piano, Grenzhäuschen verwaisende Delikte alter Zeiten, der Sendemast als Kniekerze, weiter hinten im Horizont der Dampfpilz des Atomkraftwerks bei Grenzach-Whylen, im Nordwesten Industrie brechende Stadt, aus der sich der Euro-Airport gen Horizont streckt, westeuropäische Nullerjahridylle.
    Die Stadt fehlt mir nicht. Das Land ist einfacher, ärmer, die Straßen staubig, Apfelblüte auch hier. Kleine

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