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Der Clown ohne Ort

Der Clown ohne Ort

Titel: Der Clown ohne Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Martini
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Schickeria. Jetzt erinnert ihn der Hinterhof an die skelettierte Schrebergartenkolonie zu Recht verlorener Kriege.
    Zwei Stunden und vier Darmschlachten später steht er andächtig neben B unter dem Klettergerüst, es schneeregnet, vor ihnen liegt Seins: ein fetter Haufen aus Schuhen, Bildern, Fotoalben, Ordnern, Büchern und Klamotten, vor allem Klamotten, ein grünes Kontrolllämpchen seines Computers glüht müde im Stoffberg, seine Siebziger-Jahre-DDR-Sessel balancieren mit stolz gen Himmel gereckten Lehnen darauf, es riecht gut, nach Pattex irgendwie.
    Naïn zündet sich eine Zigarette an und wirft das noch brennende Streichholz auf den Haufen. Fünf Sekunden später lodert ein Flammenfels in Bs Augen. Er raucht die Kippe in wenigen, gierigen Zügen, dann stolpern sie lachend in die Sredzki. Das Licht der Gaslaternen hat ihm etwas Meditatives, distanziert Mitfühlendes, mit was auch immer, Freiheit vielleicht, denkt er. Sie gehen in die nächste Eckkneipe, setzen sich an die Bar und bestellen ziemlich gut gelaunt zwei russische Portionen Wodka.
    »Wenn ja gut ist und wenn nein gut ist«, sagt er, »das ist Glück«, hebt sein Glas, prostet B zu und nimmt einen tiefen Schluck.
    »Wo hast du das wieder her?«, fragt B.
    »Das hat Janosch mal innem Interview gesagt. Ich fand das ziemlich gut, anarchistisch irgendwie, dass man alles bekommt, wenn man alles hinter sich lässt. Da ist was dran, glaube ich.« Da hört er erste Ausläufer des Sirenenkonzerts. Kurz darauf huscht die Polizei vorbei, eine halbe Minute später hetzen drei dickbauchige Feuerwehrwagen schwerfällig hinterher. B steht auf, nimmt ihn schulmädchenaufgeregtmäßig in den Arm und drückt ihn ganz fest, als wolle sie ihr Strahlen in ihn hineinpressen. Er hat Hunger.
    Naïn bestellt sich eine Kinderportion Carbonara und Cola mit Zitrone ohne Eis, B einen Salat mit Hühnchen und Avocado. Er stopft das Essen in sich rein, fixiert, so schnell es eben geht mit zerschmirgeltem Hals und krampfendem Gedärm eines wild gewordenen Körpers, geifernd, als hätte er seit Tagen nichts gegessen, was mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch den Tatsachen entspricht. B trinkt noch einen Espresso, Naïn Wodka und Cola, rennt erneut gen Klo, fünf Minuten später sitzen sie in einem Taxi, auf dem Weg zu B nach Dahlem.
    Die Stadt zieht in Fluchtstreifen an ihm vorbei; vor ein paar Stunden fast abgekratzt, Seins verbrannt, leer und voll zugleich bin ich, denkt er, ja ist gut und nein ist gut, wiederholt er flüsternd, und dann schwallt das Glück in seinen Bauch, Adrenalin, er zittert leicht, lächelt, mit ein bisschen zu fokussierten Augen und aufeinandergepressten Zähnen und eingezogenen Wangen, spürt flirrenden Wahnsinn hinter dem Gesicht, legt seinen Kopf ans Fenster, bläst die Backen auf und pustet die Luft in der Melodie der Marseillaise ans Fenster. Der Atem beschlägt, er schreibt ein »man« in den zerbeulten Kreis, sie sehen sich an, er nimmt ihre Hand, küsst sie, legt sie zurück in die Sitzmitte, hält sie weiter fest umklammert, diese Augen, muss sich seiner selbst versichern, zum Fenster hinausträumen. Hinter einem fasrigen Grauschleier Berlin, an ihm vorbei, er denkt an Ameisen und Termiten und ja ist gut und nein ist gut, das Glück zerbröselt uns allen mit der Zukunft, denkt er, dann haucht er noch einen Kreis neben das »man« und zeichnet, mit einer Art Erleichterung, ein Fragezeichen hinein.
    Zwei Stunden später sitzt er frisch geduscht im Morgenmantel von Bs Vater neben ihr auf dem Sofa. Im Fernsehen die Tagesnachrichten, tiefblau beruhigend die Ansagen in der Dramatik der Berichte, chimärisch.
    »Was war eigentlich mit Lucard?«
    »Wie kommst du jetzt darauf?«
    »Keine Ahnung. Was ist passiert?«
    »Er hat was mit deinen Veilchen zu tun.«
    »Aha.«
    »Wollen wir uns was kochen? Ich hab Hunger«, sagt sie knapp und steht vom Sofa auf.
    »Wir haben doch vorhin erst gegessen! Lenk jetzt nicht ab. Komm schon!«
    »Du willst das nicht wirklich wissen.«
    »Doch! Genau das will ich! Was is’n das Problem!?«
    »Was das Problem ist? – Hör mal«, sagt sie und setzt sich bedeutungsschwanger neben ihn, fehlt nur noch, dass sie ihm die Hand beruhigend auf die Schulter legt, »ich weiß ja nicht, wie normal das für dich ist!? … wir waren ja alle ziemlich verballert.«
    »Wie normal was für mich ist?«
    B blickt verträumt auf den Boden, als fände sie die Antwort in der Ornamentierung des Perserteppiches. Hänsel und Gretel

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