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Der Clown ohne Ort

Der Clown ohne Ort

Titel: Der Clown ohne Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Martini
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verloren sich im Wald: »Du bist in deinem Aufzug in die Wohnung rein, fünf Minuten später wart ihr schon aufm Klo zum Koksen«, jetzt mustert sich ihr Blick divaesk an ihm hoch, »und Ficken, falls du dich erinnerst.« Es war so finster und auch so bitterkalt. »Später ist er dann auf dich losgegangen. Das war voll krank. Du hast ihn verbröselt ausgelacht und komisches Zeug gebrabbelt. Dann hat’s geknallt. Klingelt’s?«
    Nicht ganz. Naïn guckt betreten.
    »Lucard ist komplett ausgerastet.«
    »Wo waren wir da?«
    »Na bei ihm zu Hause, in Mitte.«
    »Geht das ’n bisschen genauer?«
    »Der Eingang mit dem Bodenmosaik!?«
    »In der Auguststraße?«
    »Ja. Ist der Groschen gefallen?«
    Das war er. Bei Lana.
    Freitagnachmittag hatte B Naïn der Wochenendplanung wegen angerufen. Sie erzählte von einem Typen, der Lucard heiße. Der würde bei sich zu Hause feiern, ob er denn Lust hätte? Die hatte er. So viele Lucards, die in Mitte wohnten, würde es wohl nicht geben, und so einen kannte er und mit dem hatte er noch W wegen eine Art Rechnung offen. Sie hatten sich zwar schon getroffen, da hatte Naïn aber noch einen Vollbart à la Lagerfeld in jungen Jahren.
    Naïn hatte W ein knappes Jahr zuvor im Hotel kennengelernt, einer spanischlastigen Bar in Kreuzberg. Er hatte sich auf den Boden neben eine Japanerin gesetzt, die gelangweilt auf die Tanzfläche starrte, um sich einen Joint zu drehen. Dass er lange Blättchen und Grünzeug auspackte, löste ihre Apathie, sie fragte gleich, ohne Hallo und Firlefanz, ob sie auch mal davon ziehen könne. Sie kamen ins Gespräch, woher man käme (Tokyo, and you?), warum sie so gelangweilt sei (I’m not at all! A little tired maybe), was sie in Berlin mache, warum sie so gut Englisch spräche (I live in London), wie ihr die Stadt gefiele, mit wem sie da sei (With my friend W, she’s over there), zeigte auf eine Sphäre dunkelbrauner Korkenzieherlocken, schönste Mandelaugen der – Körper! Dschesus! – Alles klar.
    W kam aus Chicago, war Fotografin, Politikertochter und, wie sich zu Hause herausstellte, tatsächlich einundzwanzig und nicht siebzehn, wie Naïn befürchtete hatte. Ihr Vater hatte für Reagan und Bush sen. im Weißen Haus gearbeitet, was ihm angesichts ihrer berückenden Augen erst mal ziemlich egal war, Göttinnen sind schließlich nicht perfekt, da stehen die drüber.
    Sie hatte viel zu erzählen. Mit sechzehn war sie nach New York abgehauen, hatte den Sommer auf der Straße verbracht und angefangen, Drogen zu verkaufen. Einer ihrer besten Kunden wurde ein Afrikaner, der ihr »at least three to four times a week« an die zehn Gramm Koks abkaufte, bei dem regelmäßig »a bunch of really strange guys« rumhingen. Immer häufiger hätte er sie angerufen, bis ihr auffiel, dass er das oft unter komischen Vorwänden ohne Kaufabsicht tat, und sie ihn nach einer Weile zur Rede stellen musste. Naïn verstand das nur zu gut, dieses Strahlen, streichelte ihren Busen, hatte einen Ständer, einen von der Sorte, mit der man ein gefrorenes Feld beackern kann, als sie sagte: »Apparently, he was one of Mugabe’s sons.« So viel zum Thema gefrorene Felder. Burn the candle from both sides, if there were three, I’d take the fourth one.
    Die nächsten Wochen: Sie treffen sich unregelmäßig, immer muss er sie anrufen, fast fühlt er sich erniedrigt, sie hält sich nicht an Verabredungen, versetzt ihn regelmäßig, lässt ihn zappeln, spielt mit ihm, er verliert die Fassung, ist drauf und dran, die Kontrolle zu verlieren, sich zu verlieben. Bloß keine Halbjahrestouristin, denkt er noch, Vorahnung kommender Desaster.
    Nach knapp drei Monaten hat er die Schnauze voll. Wieder hat sie ihn versetzt, beim nächsten Treffen stellt, keift er sie an: »What the fuck is wrong with you?«, packt sie an den Schultern, schüttelt sie. Sie bekommt glasige Augen, sagt schmallippig, verängstigt fast: »Lucard.« Er: »Luc what?«, und sie: »Lucard«, und Naïn: »What the fuck is Lucard?«, und W: »He’s my boyfriend.«
    Das Leben ist ein Hexensabbat. Naïn liebt Hexen und hasst den Samstagmorgen nach dem Freitagabendexzess. Zeitensog: Steine mahlen den Bauch, verschallert, mit einem Schauer im Rücken steht er vor ihr, seine Finger krallen sich in ihre Schultern. Er atmet tief durch, schließlich kommt er wieder zu sich. »Fine«, sagt er. »It’s all good. Sorry. I’ll be back in a sec.« Er geht auf den Balkon, betrachtet steif den menschenleeren Bahnhof am Schlesischen Tor, die

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